Als wir im Henkel Fragrance Center in Krefeld eintreffen, ist mein Kopf voller Bilder – von Menschen, die aus Hunderten verschiedener Fläschchen eine Mixtur kreieren, schnuppern, optimieren, verwerfen und neue Flakons zum Einsatz bringen, bis das Ergebnis ihren Vorstellungen entspricht. Schnell holt mich das Krefelder Henkel-Team jedoch auf den Boden der Tatsachen zurück. Düfte werden heute großteils am Computer entwickelt. Echt jetzt? Das geht? Und wie. Und es ist nicht minder faszinierend als mein verklärtes Klischeebild eines Parfumeurs, wie ich es bei Patrick Süskind kennengelernt habe.
WIRKT. Doch zunächst bekomme ich einen kurzen Einführungskurs in Sachen Düfte – und lerne, warum Parfums überhaupt zum Einsatz kommen. Einerseits sind Düfte ein stark emotional getriebenes Thema – bestimmte Gerüche wecken unweigerlich Erinnerungen an Situationen, in denen wir sie wahrgenommen haben. Im Falle von Produkten des täglichen Bedarfs, wie etwa Waschmitteln, dient der Duft aber auch dazu, die wahrgenommene Wirkung zu verstärken. Verströmt die Wäsche beim Aufhängen einen frischen Duft, dann interpretieren wir das unbewusst als Bestätigung dafür, dass sie auch wirklich hygienisch rein ist. Auf der Toilette oder im Geschirrspüler haben Parfums auch die Funktion, Schlechtgerüche zu überdecken. Marc-Steffen Schiedel, Corporate Director R&D Fragrance, verdeutlicht die immense Bedeutung bestimmter Gerüche mit einer Anekdote: „Auch der ‚Pritt‘-Klebestift enthält Parfum – einen leicht chemischen Duft, der verhindern soll, dass Kinder den Stift in den Mund stecken. Als wir ‚Pritt‘ vorübergehend ohne Duft hergestellt haben, haben sich Konsument:innen gemeldet, die berichteten, dass die Produkte nicht mehr die gewohnte Klebkraft haben – obwohl die Wirkstoffe unverändert waren.“
SCHNUPPERTEST. Es ist also außerordentlich wichtig, dass bestimmte Produkte auf bestimmte Weise riechen – im Waschmittelbereich sogar an mehreren Touchpoints: Schon am Regal wird oft (klammheimlich) die Flasche aufgeschraubt, um unauffällig zu prüfen, ob der Duft genehm ist. Natürlich ist das auch den Herstellern bewusst und durchaus erwünscht. Als „the first moment of truth“ bezeichnet Senior Parfumeur Hubert Smyrek diesen Anlass, in dem die Konsument:innen entscheiden, ob er seinen Job zu ihrer Zufriedenheit erledigt hat. Nimmt man die gewaschene Wäsche später aus der Maschine, bestätigt der Duft den erfolgreichen Reinigungsvorgang. Und dank neuer Technologien (dazu später mehr) liefert die Wäsche auch beim Anziehen und Tragen nochmal eine Extraportion Frische für die Nase. Um die Entwicklung ebendieser Düfte für Produkte aus dem Hause Henkel kümmert man sich im Henkel Fragrance Center. Hier werden die Parfumöle entwickelt und hergestellt, die Produkten wie „Persil“, „Silan“, „Fa“, „Blue Star“ oder „Gliss“ ihren Charakter verleihen – und werden von hier aus in die ganze Welt geliefert.
VORSTELLUNGSKRAFT. Bis solch ein Öl fertig ist, dauert das aber. Von der Idee für ein neues Produkt mit einem komplett neuen Duft können auch schon mal drei bis fünf Jahre vergehen – der Aufwand ist enorm. Dabei setzt man auf modernste Hilfsmittel. Nachdem das Parfumeur-Team über das jeweilige Produktkonzept informiert wurde, kommt der kreative Part – am Computer. Nur mittels Vorstellungskraft kombinieren die Parfumeur:innen am Bildschirm jene Komponenten in jenen Mischverhältnissen, von denen sie meinen, dass sie zusammen einen runden und passenden Duft ergeben. KI wird dabei höchstens als Anregung eingesetzt – neue Düfte kreieren, das kann sie nicht. „Parfumeure sind Künstler“, hält Marc-Steffen Schiedel fest. Als Berufsanforderungen nennt Senior Perfumer Manuela Materne aber nicht nur Kreativität, sondern auch Leidenschaft und natürlich ein gutes Riechvermögen. Hubert Smyrek ergänzt noch Charakterstärke als wichtige Eigenschaft, denn mit der Tatsache, dass ein Großteil der Arbeit in Fehlversuchen endet oder dem Entwurf des Kollegen der Vorzug gegeben wird, muss man natürlich auch erst mal umgehen können.
ENTSCHEIDEND. Eine Maschine namens ALMA setzt die Idee dann in die Tat um und mischt das Parfum vorerst im kleinen Stil. Die so entstandenen Vorschläge der Parfumeur:innen werden abgetestet (sowohl intern als auch in einem Konsument:innen-Panel) und im Anschluss wird entschieden, welche Variante den Zuschlag erhält. Diese geht dann in die Produktion – bei 86% Automatisierungsgrad erledigen den Großteil die Anlagen. Zum Teil in der sog. „Geisterschicht“ – also während der Abend- und Nachtstunden, in denen der Betrieb in Krefeld nicht besetzt ist – werden die Parfumöle mittels langer Rohrleitungen aus den Tanks vermischt und in große Behälter für den Versand abgefüllt.
IM TEST. Nachdem Düfte aber nicht nur in der Flasche funktionieren müssen, sondern auch im Alltag, setzt man in Krefeld laufend auf Praxistests. In eigenen Duftkabinen kann etwa unter standardisierten Bedingungen geprüft werden, wie stark die mit „Persil“ gewaschene Wäsche duftet oder ob „Blue Star“ auch zwischen den Spülungen mit der Nase ausreichend wahrnehmbar ist. Auch ob das derzeit in Entwicklung befindliche neue „fewa Sport“ den (in diesem Fall künstlich erzeugten) Schweißgeruch gründlich genug entfernt, muss natürlich getestet, sprich erschnuppert werden – es gibt schönere Tätigkeiten. Z.B. die Entwicklung und Überprüfung neuer Methoden, um den Duft frischer Wäsche länger zu erhalten, etwa mittels Precursor-Technologie. Dabei werden Düfte beim Waschen eingekapselt auf die Textilien aufgebracht. Erst durch Reibung (z.B. beim Anziehen oder bei Bewegung) brechen die Kapseln nach und nach auf und geben den Duft frei.
INSPIRATIONEN. Anregungen für neue Duft-Varianten von „Persil“, „Blue Star“ & Co. holen sich die Parfumeure auch aus dem Fine Fragrance-Bereich – das heißt, dass die Duftprofile großer Trendparfums später auch schon mal in einer ähnlichen Form in „Blue Star“ & Co. zu finden sein können. „Trickle down“ ist der entsprechende Fachbegriff dafür.
LAUFEND. Neuer Düfte bedarf es übrigens nicht nur für neue Produkte oder Limited Editions, sondern regelmäßig auch für das bestehende Sortiment. Einerseits aufgrund neuer Forschungsergebnisse hinsichtlich Inhaltsstoffen (Europa ist hinsichtlich Regulatorien in diesen Belangen führend), andererseits natürlich auch bezugnehmend auf aktuelle Trends und gesellschaftliche Entwicklungen. So wurde und wird etwa „Persil“ hinsichtlich seines Duftes laufend aktualisiert. Ursprünglich, also beim Launch im Jahr 1907, enthielt das Waschmittel übrigens gar keinen Duft, erst 1959 wurde „Persil“ mit olfaktorischen Argumenten upgegradet. Dabei hat man sich an den Noten von Kernseife orientiert – dem damaligen Maß der Dinge in Sachen Reinheit. Ab dem Jahr 2000 setzte Henkel auf einen einheitlichen Duft für alle „Persil“-Varianten. Das letzte Duft-Update wurde 2024 durchgeführt. Und auch der Duftjahrgang 2026 liegt quasi bereits in der Schublade. Die Parfumeure in Krefeld sind dem Markt eben um eine Nasenlänge voraus.