PRODUKT: Herr Reiter, in welchem Ausmaß ist Nachhaltigkeit in der österr. Tourismuswirtschaft präsent?
Reiter: Nachhaltigkeit ist heute in jeder Tourismus-Destination ein Basiselement und KEIN Differenzierungsmerkmal mehr. Gleichwohl matchen sich alle Destinationen in Europa (auf nationaler, Landes- und regionaler Ebene) in Nachhaltigkeitskriterien. Österreich ist hier kein Vorreiter, liegt aber im Spitzenfeld, hat in den letzten Jahren deutlich an Fahrt aufgenommen. Und unterlegt seine (bundesweite) Strategie mit messbaren Erfolgskriterien, legt mit „Resy“ ein gut gemachtes regionales Dashboard auf, mit dem sich regionale Destinationen in der Wirksamkeit ihrer Nachhaltigkeitsmaßnahmen messen können.
PRODUKT: Wie lassen sich Wachstum und Nachhaltigkeitsziele miteinander verbinden?
Reiter: Wir müssen den traditionellen – linearen – Wachstumsbegriff stark hinterfragen. Es geht künftig nicht mehr um quantitatives Wachstum, sondern um qualitatives, also um Wertschöpfung pro Gast bei gleichzeitigem (ökologischem und gesellschaftlichem) Impact eines touristischen Aufenthalts. Das Gemeinwohl muss mit dem Eigenwohl ausbalanciert werden – sonst brechen unsere Systeme zusammen.
PRODUKT: Wie lässt sich Nachhaltigkeit konkret in einen Betrieb/einer Destination integrieren?
Reiter: Vor allem durch Zertifizierungen. In Österreich ist es etwa das Umweltzeichen, das nicht nur Betriebe, sondern inzwischen auch einige (wenige) Destinationen anwenden und dafür einen erheblichen Leistungsnachweis erbringen müssen. Generell gelingt die nachhaltige Transformation nur über die Erstellung klar definierter nachhaltiger Erfolgskriterien (in den vier Bereichen sozial, ökologisch, ökonomisch und in der Governance) sowie über deren Monitoring und Benchmarking. Inzwischen haben sich auch international einige große Nachhaltigkeitslabels durchgesetzt.
PRODUKT: Gibt es im Tourismus schon Vorreiter?
Reiter: Meist sind es die Convention Bureaus (also Tagungsbüros) der Länder, hier in Österreich vor allem das Tiroler Convention Bureau, das mit einer beeindruckenden Transformationsstrategie Tirol zu einer nachhaltigen Tagungs-Destination umgestaltet. Firmen-Kund:innen wählen Tagungsorte nach strengen Nachhaltigkeitskriterien aus (um selbst die ihnen auferlegten Nachhaltigkeits-Ziele (ESG) zu erreichen). Im internationalen Städtetourismus ist es Wien Tourismus, das mit seiner Visitor Economy beispielgebend ist und den städtischen Raum für Gäste wie Einwohner:innen gleichermaßen attraktiviert. International liegen aber natürlich die skandinavischen Länder und die Niederlande voran, die stark auf zirkuläre Wirtschaft und regenerative Konzepte setzen.
PRODUKT: Wie weit ist der Gast von Nachhaltigkeitsbemühungen aktiv betroffen? Entstehen ihm evtl. Nachteile?Reiter: Auch wenn es seitens der Gäste noch oft eine Lücke zwischen ihrem Nachhaltigkeits-Anspruch und Handeln gibt und die Zahlungsbereitschaft für (teurere) nachhaltige Produkte und Services (noch) relativ gering bleibt, so ist Nachhaltigkeit ein unabdingbarer Erfolgsfaktor für Unternehmen wie Destinationen. Den einen Gast gibt es nicht, der Markt ist enorm segmentiert, Leitmilieus unter Konsument:innen erzwingen freilich – mittelfristig – nachhaltige Produkte, auch um ihrem guten Gewissen Genüge zu tun.