PRODUKT: Zurzeit gehen – angesichts der Lebensmittelpreise – die Wogen hoch. Auf den Punkt gebracht: Sind Markenartikler Preistreiber oder nicht?
Thumser: In den letzten vielen Wochen haben sich namhafte Politiker um Ablenkung von ihrer eigenen Verantwortung – nämlich strukturelle Reformen durchzusetzen – bemüht und dabei den Lebensmittelbereich als offenbar ideales Ziel ausgemacht. Sehr zum Schaden nicht nur des Handels und seiner Lieferanten, sondern vor allem der Bürger:innen unseres Landes. Mit von vielen Medien massiv unterstützten, allzu einseitig ideologisiert vorgetragenen Vorwürfen und Unterstellungen wurde die ohnedies schon schlechte Stimmung im Land nochmals verstärkt, die allgemeine Kaufzurückhaltung durch breite Verunsicherung im täglichen Einkauf weiter befeuert.
Dazu ein Fakten-Check vom August: Österreichs Inflationsrate lag im August um etwa zwei Punkte über dem Eurozonen-Schnitt: 0,9 Prozentpunkte davon entfielen auf Energie, 0,7 Prozentpunkte auf den Dienstleistungsbereich, nur 0,1 Prozentpunkte auf Lebensmittel! Diese öffentliche Erregung geht also weit an den echten Problemen im Land vorbei! Insbesondere als Österreicher:innen nur 10% ihres durchschnittlichen Haushaltseinkommens für Lebensmittel ausgeben und damit an drittniedrigster Stelle in der EU liegen!
PRODUKT: Zuletzt haben Sie die wirtschaftliche Kraft von Marken herausgearbeitet. Was sind die wichtigsten Erkenntnisse aus der präsentierten Studie?
Thumser: Die erstmals durchgeführte Studie (Economica-Institut) zeigte die hohe Bedeutung des FMCG-Markenartikels: Heimische Markenprodukte sichern 144.000 Arbeitsplätze, stehen für 5,43 Mrd. € und erbringen eine wirtschaftliche Leistung in der Höhe von 11,25 Mrd. €. Marken sind also mehr als Produkte – sie sind ein zentraler Wirtschaftsfaktor. Die Zahlen zeigen klar: Heimische Marken sichern Stabilität, Beschäftigung und Standortqualität – und liefern fundierte Impulse für Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Marken sind also mehr als Produkte – sie sind ein zentraler Wirtschaftsfaktor. Rund 144.000 Beschäftigte sind direkt oder indirekt in Produktion und Vertrieb von Markenprodukten tätig – mehr als die gesamte Bevölkerung Innsbrucks. Ein genauer Blick auf die direkte Produktionsebene zeigt: Das durchschnittliche Jahresgehalt liegt hier bei 61.000 € – ein klares Zeichen für hohe Qualifikation, Innovationskraft und stabile, zukunftssichere Arbeitsplätze. Mit 5,43 Mrd. € an Steuern und Abgaben leisten Marken-Originale einen größeren Beitrag als etwa das gesamte Aufkommen aus der Mineralölsteuer und den Pensionsbeiträgen für Beamte zusammen. Das stärkt öffentliche Haushalte – von Bund und Ländern bis zu den Sozialversicherungen – und sichert zentrale staatliche Leistungen.
PRODUKT: Warum verschwinden dennoch viele Marken von der Bildfläche und werden durch Handelsmarken ersetzt?
Thumser: Hier äußert sich die extrem hohe Konzentration dominanter Handelskonzerne ganz deutlich: Nur drei Einkaufsorganisationen definieren über 85% des FMCG-Angebots im österreichischen Lebensmittelhandel. Alle drei und ein weiterer Diskonthändler verfolgen eine prononcierte Eigenmarken-Strategie, die die Wahlmöglichkeiten der Konsument:innen zunehmend einschränkt. Vielfach werden Innovationen der Originalmarken in kürzester Frist kopiert und deren Hersteller oft gar nicht bei Listungen berücksichtigt. Ein Level-Playing-Field sieht wahrlich anders aus…
PRODUKT: Warum ist das keine gute Entwicklung?
Thumser: Wenn drei Nachfrager hunderten Lieferanten gegenüberstehen, ergeben sich Marktkräfte, die den freien Wettbewerb des besseren und breiteren Angebots als Illusion erscheinen lassen. Gerade für die eher klein strukturierte österreichische Hersteller-Struktur ergeben sich daraus bereits Zwänge, die ökonomisch als bedenklich zu qualifizieren sind. Neue Entwicklungen erfordern auch eine entsprechende Marketingbegleitung, um sie den Konsument:innen nahe zu bringen – diese wiederum ist bei potenziell nur rudimentärer Listung im kleinen Markt Österreich nicht ausreichend finanzierbar. Hier liegt das große mittelfristige Risiko für die nationale Eigenversorgung mit attraktiven Produkten aus unabhängiger Erzeugung.
PRODUKT: Zusätzlich ist der Handel in vielen Bereichen bereits selbst einer der größten Produzenten – etwa bei Fleisch, Wein, Brot & Gebäck – wie sehen Sie diese Entwicklung?
Thumser: Die dynamisch fortschreitende Vertikalisierung im Handel setzt vor allem die privaten, unabhängigen Produzenten enorm unter Druck, sie verlieren in aller Regel zunächst die Listungen der Volumsprodukte aus ihrem Sortiment, die Auslastung und ökonomische Basis gewährleisten, und werden auf ihre Spezialitäten reduziert, mit deutlich geringeren Losgrößen. Insbesondere in der Fleisch- und Wurstwarenbranche hat dies bereits sehr bedenkliche Ausmaße angenommen, wie allzu viele Betriebsschließungen zeigen.
PRODUKT: Wie sieht eine optimale Zusammenarbeit zwischen Handel und Industrie aus?
Thumser: In der Aufklärung und Bewusstseinsmachung der Konsument:innen für die Wert-Schätzung der angebotenen Produkte in all ihrer Vielfalt liegt der Schlüssel für ein Wiederbeleben der Kauflaune und Konsumbereitschaft der Österreicher:innen. Die permanente Reduktion aller Angebote auf den Preis allein greift zu kurz und geht an den vielen so wertvollen Beiträgen in der Wertschöpfungskette total vorbei.
PRODUKT: „Der freie Markt wird es schon richten“ ist eine populäre Aussage, die impliziert, dass die Politik möglichst nicht eingreifen sollte – wo blockiert aktuell die Politik und was sollte/könnte sie stattdessen fokussieren?
Thumser: Wir befinden uns bereits im Nahebereich der Planwirtschaft, mit Fantasien wie Preisdeckel, Transparenzdatenbanken und Extra-Kennzeichnungen wie auch Regularien oder sogar Verboten sonder Zahl. Der Gestaltungsfreiraum für die Unternehmen wird zunehmend enger. Eine drastische Rücknahme und auch Standardisierung der noch immer neu editierten Regularien ist unerlässlich. Gleichzeitig müssen die inzwischen bereits extremen Struktur-Mehrkosten des Standorts Österreich, wie z. B. Energie, Lohnnebenkosten, rasch einer politisch verlässlichen und nachhaltigen Lösung zugeführt werden.
