Fortschritte & Potenziale

Julia Haslinger, Expertin für nachhaltige Ernährung beim WWF, sieht insbesondere bei pflanzlichen Sortimenten Entwicklungs-Möglichkeiten.

Handel und Hersteller kooperieren in vielen Fällen bereits intensiv mit NGOs, wie etwa dem WWF. Denn deren Expertise ist immer öfter gefragt, um Herstellung und Sortimente schrittweise nachhaltiger zu gestalten. Wir haben mit Julia Haslinger, Expertin für nachhaltige Ernährung beim WWF, über Fortschritte und Potenziale der FMCG-Branche gesprochen.

Kategorie: Stories

PRODUKT: Wie nachhaltig ist der österreichische Lebensmitteleinzelhandel im internationalen Vergleich?

Haslinger: Der Lebensmitteleinzelhandel in Österreich hat in den letzten Jahren Fortschritte gemacht. Wir haben zum Beispiel ein großes Angebot an regionalen Bioprodukten. Dennoch besteht im Vergleich zu anderen Ländern weiterhin Handlungsbedarf, insbesondere beim Konsum tierischer Produkte. Hier liegt Österreich noch im EU-Spitzenfeld – das hat erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt und das Klima: Tierische Produkte machen etwa 40% der ernährungsbedingten Treibhausgas­emissionen aus und sie sorgen weltweit für Naturzerstörung, etwa durch den Anbau von Futtermitteln. Eine nachhaltigere Ausrichtung des Lebensmitteleinzelhandels erfordert in Österreich daher eine stärkere Fokussierung auf pflanzliche Produkte. Der Handel kann hier einen wichtigen Beitrag leisten, indem er das pflanzenbasierte Angebot ausweitet und attraktive Alternativen zu tierischen Produkten sichtbar macht. Nur mit einer umfassenden Ernährungswende kann die Nachhaltigkeit im Sektor verbessert werden – dafür setzen wir uns vom WWF Österreich ein. Bei einigen Unternehmen, mit denen wir zusammenarbeiten, sehen wir auch schon sehr positive Entwicklungen.

PRODUKT: Welche Rolle spielen der Handel und die Hersteller bei nachhaltigem Konsum? Wie sieht ein optimales Zusammenspiel aus?

Haslinger: Die Verantwortung für einen nachhaltigen Konsum liegt sowohl bei den Händlern als auch bei den Produzenten. Der Handel entscheidet darüber, welche Produkte in welchem Umfang und zu welchen Preisen angeboten werden, während die Hersteller mit ihren Entwicklungen den Markt beeinflussen. Ideal wäre ein Zusammenspiel, bei dem nachhaltige, pflanzliche, regionale und Bio-Produkte bewusst gefördert, prominent platziert und zu erschwinglichen Preisen angeboten werden. Eine klare Kennzeichnung und gezielte Verbraucherinformationen können nachhaltige Kaufentscheidungen erleichtern – denn nur wenn sich Menschen transparent informieren können, können sie sich bewusst für eine klimaschonende Ernährung entscheiden.

PRODUKT: Nachhaltigkeit umfasst ja nicht nur ökologische und soziale Aspekte, sondern auch ökonomische. Wie sehen Sie den Aspekt „wirtschaftliche Nachhaltigkeit“ in der FMCG-Branche?

Haslinger: Leider werden die wahren Kosten vieler Lebensmittel, insbesondere von tierischen Produkten, nicht korrekt abgebildet. Billige Fleischprodukte etwa tragen nicht die tatsächlichen Umweltkosten, die durch Wasserverbrauch, Landnutzung, Abholzung von Regenwald und Treibhausgasemissionen entstehen. Diese versteckten Kosten belasten langfristig nicht nur die Umwelt, sondern auch die Wirtschaft, etwa durch steigende Gesundheitskosten oder Schäden durch Klimawandelfolgen. Eine realistische Preisgestaltung würde nicht nur zu einem bewussteren Konsum führen, sondern auch für fairere Bedingungen in der Landwirtschaft sorgen. Als Gesellschaft müssen wir den Wert von Lebensmitteln wieder mehr schätzen lernen – und unseren Konsum dementsprechend ausrichten.

PRODUKT: Bio, Tierwohl und Klimaschutz – diese Aspekte gehen nicht immer Hand in Hand – wie trifft man eine sinnvolle Kaufentscheidung?

Haslinger: Diese Prinzipien helfen, sowohl Klimaschutz, Biodiversität als auch Tierwohl zu berücksichtigen und nachhaltige Kaufentscheidungen zu treffen: Pflanzliche Produkte bevorzugen. Sie beanspruchen deutlich weniger Fläche und haben eine bessere Klimabilanz als tierische Produkte. Zweitens: Bei tierischen Produkten auf Bio-Qualität setzen, denn hier werden Tierwohl-Aspekte besser berücksichtigt und die Biodiversität geschont. Und letztlich: Regional und saisonal einkaufen, das reduziert Transport-Emissionen und unterstützt lokale, nachhaltige Landwirtschaft.

PRODUKT: Wie stark beeinflussen Verpackungen den ökologischen Fußabdruck von Lebensmitteln?

Haslinger: Im Durchschnitt entfallen etwa 97% des Klimafußabdrucks auf die Produktion und den Vertrieb eines Lebensmittels und nur 3% auf seine Verpackung. Bloß die Verpackung nachhaltig zu gestalten, greift also viel zu kurz und kann – schlimmer noch – Konsument:innen sogar in die Irre führen. Wesentlich für die Reduktion des ökologischen Fußabdrucks sind die Herkunft der Futtermittel, der Umgang mit Boden- und Wasserressourcen sowie der Einsatz von chemisch-synthetischen Pestiziden in der Landwirtschaft.

PRODUKT: Welche Auswirkungen haben die neuen Pfandregelungen in Österreich auf den Klimaschutz?

Haslinger: Mehrwegquoten und Einwegpfand fördern die Kreislaufwirtschaft und reduzieren den Verbrauch fossiler Rohstoffe für die Verpackungsproduktion – daher ist die neue Regelung in Österreich ein wichtiger erster Schritt. Lebensmittelproduzenten, Verpackungshersteller und der Handel müssen nun aber gemeinsam noch weiter daran arbeiten, das Mehrweg-Sortiment auszuweiten und die Verpackungen hinsichtlich Gewichtsreduktion, kurzer Transportwege und hoher Umlaufzahlen zu optimieren. Die Politik ist zudem gefordert, die Mehrwegquoten schrittweise weiter zu erhöhen.

PRODUKT: Wie wichtig ist den österreichischen Konsument:innen Nachhaltigkeit beim Einkauf? Gibt es aktuelle Daten dazu?

Haslinger: Laut einer repräsentativen WWF-Umfrage sind knapp die Hälfte der Österreicher:innen unsicher, welche Lebensmittel klimafreundlich sind. Das liegt daran, dass die Kennzeichnungen teilweise irreführend sind. Der Handel, Produzenten und die Politik müssen für eine transparente, einheitliche Kennzeichnung sorgen – insbesondere bei tierischen Produkten. Zudem fordern 80% der Befragten höhere Umweltstandards. Die EU hat mit der Lieferkettenrichtlinie und Entwaldungsverordnung Impulse gesetzt, deren Umsetzung und Kontrolle nun bei Unternehmen und Mitgliedsstaaten liegt. Umweltschädliche Produkte aus intransparenten Lieferketten sollten gar nicht erst im Handel landen.

PRODUKT: Wie können Handel und Hersteller Konsument:innen zusätzlich zu nachhaltigem Verhalten motivieren?

Haslinger: Lebensmittelunternehmen müssen zuerst ihre eigenen Umweltauswirkungen minimieren – und zwar dort, wo die größten entstehen. Großes Potenzial liegt neben der Sortimentsgestaltung vor allem bei der Vermeidung von Lebensmittelabfällen – im eigenen Betrieb und in der vorgelagerten Lieferkette. Daher fordert der WWF eine Ausweitung der Meldepflicht für Lebensmittelabfälle auf die gesamte Lieferkette und mehr Anstrengungen, damit Überschüsse vermieden, weiterverarbeitet oder an Armutsbetroffene weitergegeben werden.

PRODUKT: Vielen Dank für das interessante Gespräch!