Geben und Nehmen

Jamie Oliver kocht für Iglo

Nicht erst in Zeiten schwerer Krisen wird deutlich, wie wichtig die Gastronomie ist. Für das Wohlbefinden der Gäste sowieso. Aber auch für Markenhersteller.

Kategorie: Stories
Immer öfter nutzen LEH-Marken bekannte Köche und deren Image für sich. Aktuelles Beispiel: Die Kooperation von Iglo und dem britischen Starkoch Jamie Oliver. Schon seit Jahren setzt sich Oliver für gesunde, frisch gekochte Gerichte ein. So startete er 2005 z.B. die Kampagne „Feed me better“, mit der er versuchte, die Qualität des Essens in Schulkantinen zu verbessern. Insofern scheint es auf den ersten Blick verwunderlich, dass er nun mit Iglo Fertiggerichte entwirft. Aber: „Der Tiefkühler eröffnet beim Kochen viele brillante Möglichkeiten, daher freut es mich sehr, dieses neue Sortiment auf den Markt zu bringen. Der hohe Gemüseanteil der Mahlzeiten macht es einfach, sich auch dann ausgewogen zu ernähren, wenn es einmal schneller gehen muss“, so Oliver über die Zusammenarbeit mit der Tiefkühl-Marke.
Testimonial.
Von der Produktlinie „iglo kocht mit Jamie Oliver“ profitieren also beide Seiten: Iglo gewinnt ein glaubwürdiges Testimonial und Jamie Oliver genießt breite Präsenz und ruft sich somit bei den Konsumenten in Erinnerung, was sich vermutlich auf den Verkauf der Artikel in seinem umfangreichen Online-Shop auswirken wird und auch seine Restaurantkette „Jamie’s Italian“ pushen wird. Andere Restaurantketten wiederum nutzen das Image eines Starkochs, um das eigene entsprechend aufzupolieren. Unvergesslich sind die von Toni Mörwald kreierten McDonald’s Burger. Eine Kooperation, die in der Gastro-Szene 2012 durchaus hohe Wellen schlug. Doch unabhängig davon, wie man über die Aktion denken möchte, eines hat Mörwald geschafft: Er war im wahrsten Sinne „in aller Munde“.
Schnell.
Gehobene Qualität und Schnelligkeit möchte auch die „Spar Premium Edition“ mit Johanna Maier unter eine Haube bringen. Von der Sachertorte über verschiedene Eissorten bis hin zu diversen Pizzen – Johanna Maiers Name findet sich in so ziemlich jedem Bereich des Supermarktes. Für die Spar-Produktlinie bedeutet das eine enorme Aufwertung, für Johanna Maier einen unglaublichen Werbewert. Der Schritt in den LEH ist als Gastronom allerdings alles andere als einfach – oft gehört auch Glück dazu. (siehe Interview mit Nuriel Molcho von Neni)
Sprungbrett.
Aber die Gastronomie kann auch für Markenhersteller ein Sprungbrett sein. „Wir sind erst durch die Clubs und Bars der deutschen Hauptstadt überregional bekannt geworden“, erzählt Felix Zocher, Vertriebsleiter von Schilkin, wo u.a. der kultige Pfefferminzlikör namens „Berliner Luft“ hergestellt wird. Durch die starke Nachfrage in der Gastronomie wurde schließlich auch der Einzelhandel aufmerksam. 
gastromarke berlinerluft
Fruchtig.
Auch die österreichische Kultmarke „Pago“ fand den Weg in den LEH über die Gastronomie. In beiden Bereichen tritt der Fruchtsaft in der markanten grünen Glasflasche auf – das sichert einen Wiedererkennungswert. Zusätzlich gibt es sowohl für Gastronomen als auch für Endkonsumenten eigens für sie zugeschnittene Gebinde. So z.B. „Pago“ in der 1L-Glasflasche für das Frühstücksbuffet oder auch Premix-Boxen für den Schankbereich. Da auch Endkonsumenten vermehrt nach Glasflaschen fragen, ist die 1L-Glasflasche (natürlich Mehrweg) nun auch vermehrt im LEH zu finden.
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Test.
Petra Nothdurfter, Geschäftsführerin Eckes-Granini Austria, erklärt die Wechselwirkung von Gastronomie und LEH: „In der Gastronomie probiert der Gast gerne eine neue Sorte aus und ist eher offen für Innovationen. Auch unsere Gastronomen sind dankbar für Rezepte und Sorten, um ihren Gästen wieder etwas Neues bieten zu können. Deshalb haben wir z.B. im Jahr 2018 unsere jüngste Sorte „Guave-Banane-Ananas“ zuerst in der Gastronomie in der 0,2L-Flasche gelauncht und im Sommer 2019, nach erfolgreicher Einführung, auch in den Einzelhandel eingeführt.“
Sichtbar.
Eine Herausforderung ist mitunter die Markensichtbarkeit. Oft wird Fruchtsaft gespritzt im Glas konsumiert – welche Marke sich im Glas befindet, ist für den Gast nicht ersichtlich. Idealerweise wird also die markante „Pago“-Flasche mitserviert – oder zumindest ein „Pago“-Glas verwendet. „Wir sehen das auch als eine Art Qualitätsversprechen, dass dem Kunden die von ihm bestellte Marke serviert wird und nicht irgendein Fruchtsaft“, so Nothdurfter. Allerdings: Gerade in der Szene-Gastronomie ist es immer trendiger, möglichst wenig Branding einzusetzen. „Dadurch wird es schwieriger, hier als Marke aufzutreten und neue Produkte und Kreationen anzubieten. Hier arbeiten wir eng mit unseren Gastronomen zusammen, um Lösungen zu erarbeiten, die für beide Seiten gewinnbringend sind.“
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Vertrauen.
„Das Image einer Marke sollte in der Gastronomie wie auch im Heimkonsum auf denselben Werten aufbauen. Marke bedeutet Vertrauen. Dieses Vertrauen wird durch verschiedenste Maßnahmen wie beste Produktqualität, Sortiment oder Kommunikation hart erarbeitet und muss quasi jeden Tag bei jedem einzelnen Kaufakt in der Gastronomie wie am POS im Handel wiedererobert und erkämpft werden“, sagt Andreas Stieber, Marketing GF der Brau Union Österreich. Für Stieber ist klar: Beste Sichtbarkeit, sei es durch eine Tafel oder gebrandete Gläser, erzeugt Lust auf ein frisch gezapftes Bier. 
Präsenz.
„Perfekt gezapftes Bier ist, neben der österreichischen Küche, ein wichtiger Teil unserer einzigartigen Gastronomiekultur. Man sagt nicht umsonst, ein gepflegtes Bier vom Fass ist eine Visitenkarte des Gastronomen“, so Stieber. „Gösser“ bietet daher z.B. Schank- und Zapfschulungen. „Gastronomen, die sich stark mit Gösser identifizieren, fungieren auch als Leitbild-Betriebe für die Marke. Hier wird österreichische Gastlichkeit gelebt und die Marke kann sich auf ideale Weise präsentieren“, erklärt Stieber. Und eine starke Marke verkauft sich auch gut im LEH – so konnte mit der Zeit „Gösser“ von einer regionalen Gastro-Marke zur meistverkauften Biermarke Österreichs wachsen.
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Ergänzend: Interview mit Nuriel Molcho von Neni
Wie kam es zur Entscheidung, dass Neni Produkte für den LEH macht?
Eigentlich war alles Zufall: Gerhard Drexel, der Besitzer vom Spar, war kurz nach der Eröffnung bei uns im Neni essen. Er war beeindruckt, wie gut und cremig Hummus schmecken kann – und so hat er einen der Chefeinkäufer, den Max Hollensteiner, damit beauftragt, uns zu kontaktieren. Bei der Präsentation in unserem Restaurant habe ich verschiedene Hummus-Varianten aufgetischt. Und so kam es, dass wir anfangs für eine Filiale, das war die Babenberger Passage, 30 Stück Hummus produzieren sollten. Abends, nachdem wir das Restaurant zugesperrt haben, haben wir uns als Familie hingesetzt, den Hummus abgewogen, in Becher gefüllt und mit einem Etikett beklebt. Und die 30 Becher waren sofort ausverkauft. In der nächsten Woche wollte Spar schon 300 Becher! Also haben wir Freunde eingeladen; zu zwanzigst saßen wir um 12 in der Nacht im Restaurant – und in der Früh haben wir die Ladung mit dem Auto zum Spar gebracht. 
Mittlerweile ist der Hummus, den man bei Spar findet, aber nicht mehr „Handmade by Familie Molcho“…
Nein. (lacht) Der Spar hat sehr gut erkannt: Hier gibt’s Potential. Denn was uns ausmacht, ist, dass es nicht „nur“ ein Produkt ist. Es ist eine Familie, eine Geschichte, es gibt einen Bezug zu einem Restaurant. Das ist eine Art Geschmacksqualitätssiegel, denn man weiß: Die Molchos werden jetzt nicht irgendwo was Billiges produzieren und dann ihren Namen draufgeben. Und dann machte uns der Spar-Einkäufer darauf aufmerksam, dass es eine Produktion im 22.Bezirk gibt, die Aufstriche und Saucen für Nordsee produziert, alles vegetarisch. Die Konsistenz von den Produkten war der von unserem Hummus sehr ähnlich. Nachdem die Aufstriche nur bis 15 Uhr produziert wurden, mieteten wir ab Nachmittag diese Produktion, um mehr Hummus herstellen zu können. Dafür haben wir uns einen Produktionsleiter gesucht – denn wir wussten, wie wir den Spirit verpacken, wie wir den Geschmack machen, aber wie man tausende Becher maschinell herstellt – und dazu noch den Hygienestandard berücksichtigt, den der Supermarkt auch erwartet – das kannst du nicht einfach in einer Woche lernen.

Es ist sicher auch schwierig, den „Spirit“ und den Handmade-Charakter der Produkte beizubehalten, wenn maschinell erzeugt wird?
Ich muss sagen, da hatten wir extremes Glück. Wir hatten damals den Bernhard Balzer als Koch im Neni. Der kommt eigentlich von der Nouvelle Cuisine, war beim Fabios Koch und beim Toni Mörwald – und dann kam er ins Neni, weil er mal was ganz Anderes lernen wollte. Als er sah, dass wir die Hummus-Produktion planen, hat er gesagt: „Ich hab mit euch schon ein paar Jahre gearbeitet, ich verstehe die Neni-Küche, ich verstehe aber auch wie man für Supermärkte Sachen machen muss – ich würde euch gerne helfen, die Rezepte zu entwickeln.“ Mein Bruder Ilan, der ein sehr systematischer Denker ist, hat sich damals auch für die Produktion interessiert, er kümmert sich seither um die Führung der Produktion und ist jetzt auch der Geschäftsführer der gesamten Firma; meine Mutter Haya konzentriert sich auf die Rezepte, und in meiner Verantwortung liegen Verpackung und das Marketing. Nach einem Jahr hat die Nordsee in der Produktionshalle aufgehört und wir haben sie den ganzen Tag übernommen. Mittlerweile beliefern wir 1.500 Filialen in ganz Österreich, 600 in Deutschland und einige in der Schweiz – und wir haben ein Sortiment von über 30 Produkten. Deshalb müssen wir schon Doppelschichten in der Produktion machen, um die Mengen zu schaffen. Jetzt haben wir 6.000 m2 grüne Fläche in Gumpoldskirchen gekauft und bauen dort eine eigene Produktion.

Was sind die großen Herausforderungen, wenn man über den LEH Produkte verkauft?
Eine große Herausforderung ist Qualität vs. Preis. Jeder will billig einkaufen, aber jeder will gleichzeitig auch Bio und die beste Ware haben. Das ist schwierig! Kichererbsen z.B., das ist wie eine Börse. Wir können nicht für ein ganzes Jahr im Voraus Kichererbsen kaufen. Und wenn aber irgendwo die Ernte ausfällt und somit zu wenig Kichererbsen am Markt sind, verdoppelt sich der Preis! Aber unser Verkaufspreis bei Spar muss immer gleich bleiben. Wir können den Leuten nicht sagen, der Hummus kostet morgen 50 Cent mehr, weil die Kichererbsen-Preise gestiegen sind. Das ist dem Kunden am Ende des Tages egal. Er will immer 2,99   für den Hummus zahlen. Und wenn wir´s nicht schaffen gut einzukaufen, kann es passieren, dass wir einen Monat lang mal ein Minus machen. Ein gutes Einkaufsteam ist unerlässlich. 

Wie kann man eine Gastro-Marke in den LEH übertragen? 
Man muss überlegen: Wofür steht meine Marke? Bei uns im Neni ist es einfach der Geschmack. Es muss schmecken wie zuhause – es geht um den „handgemachten Home Cooking Charakter“. Wir könnten natürlich unseren Hummus mit Chemikalien 60 Tage haltbar machen, um ihn weltweit verkaufen zu können. Aber das wäre nicht Neni. Viele Hummus-Produzenten verwenden statt Olivenöl Rapsöl, oder statt reinem Tahina einen schlechteren, der bitter schmeckt. Oder die Kichererbsen werden mit Wasser vermischt oder mit Majonnaise, um es cremig zu machen. Auch das machen wir nicht. Wir sagen: Lieber verkaufen wir weniger in weniger Ländern, aber dafür ist die Qualität immer gewährleistet. 

Wie ist die Zusammenarbeit mit Spar?
Der Supermarkt wird immer sagen: Mach mehr. Aber wir sagen oft: „Nein, momentan schaffen wir nicht mehr.“ Oder: „Nein, dieses Produkt soll genauso schmecken, wir wollen z.B. kein Hühnerfleisch dazugeben, weil es sich dann besser verkaufen würde – wir glauben es ist so richtig, wie es ist.“ Natürlich muss man aber auch auf die Einkäufer in den Supermärkten hören. Sie kennen den Markt sehr gut. Oft ist es ein Geben und Nehmen. Sie sagen uns z.B. „Wir suchen einen Salat mit Bulgur, weil Bulgur gerade so ein Trend-Getreide ist.“ Da lassen wir uns auch inspirieren von den Einkäufern. Aber diese Balance zu finden zwischen: wofür stehe ich und was verkauft sich gut – das ist komplex.

Gab es Auswirkungen auf die Restaurants nach dem LEH-Eintritt?
Schwer zu sagen, weil wir immer sehr viel zur selben Zeit machen. Als wir im LEH angefangen haben, haben wir auch mehr Kochbücher geschrieben, mehr Fernsehauftritte gehabt. Auch mehr Lokale aufgesperrt, es ist alles in jede Richtung gewachsen. Aber alles befruchtet sich. Ich glaube, die Supermarkt-Produkte würden nicht so gut gehen, wenn wir nicht die Restaurants hätten. Ein super Beispiel ist: Wir wollten am Anfang natürlich nach Deutschland. Also haben wir bei Rewe und Edeka angefragt. Und die haben gesagt: „Nein, interessiert uns nicht.“ Dann haben wir ein Restaurant in Hamburg aufgesperrt, in Berlin, in München, in Köln. Alle Zeitungen waren voll mit Neni. Und da kam auf einmal ein Anruf von den Rewe- und Edeka-Einkäufern, eine Einladung zu einem Gespräch: „Wir würden uns geehrt fühlen, eure Produkte zu führen“, hieß es plötzlich. Und das Ganze hat sich umgedreht. Vielleicht wären wir auch ohne Restaurants reingekommen, aber ich weiß nicht für wie lange und zu welchen Konditionen. Und durch die Restaurants haben wir dann diese Brücke schlagen können. Das eine hilft dem anderen. Und es ist auf jeden Fall wichtig, verschiedene Standbeine zu haben. 

Was macht Gastromarken so besonders?
Das Feeling. Natürlich ist es wichtig, was du in einem Restaurant zu essen bekommst, aber genauso wichtig ist das Erlebnis, das du dort hast. All diese emotionalen Dinge, die du mit einem Lokal verbindest, kannst du, wenn du das Produkt im Supermarkt kaufen kannst, auch zuhause haben. Darum heißt es auch „Neni am Tisch“ – weil du „Neni“ zu dir nachhause bringst.

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