Grüne Milch?

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Um den ökologischen Fußabdruck von Milchprodukten klein zu halten, muss an unterschiedlichen Stellschrauben gedreht werden – der Einflussbereich reicht von der Tierhaltung über den Transport bis zur Verpackung.

Kategorie: Food

Das Thema ist komplex – den einen korrekten Wert zur Darstellung der Ökobilanz von Milch gibt es freilich nicht. Die Faktoren, die hier relevant sind, sind dermaßen vielfältig, dass eine allgemeine Beurteilung schlicht nicht möglich ist. Das bedeutet jedoch zugleich, dass es in der Produktionskette zahlreiche Gelegenheiten gibt, die Nachhaltigkeit der Produkte positiv zu beeinflussen. Beginnen wir ganz am Anfang, also bei den milchgebenden Tieren. „Der CO2-Fußabdruck wird maßgeblich durch die Haltungs- und Fütterungspraktiken der Kühe bestimmt, wodurch sich auch die verschiedenen Milchsorten in ihrem Beitrag zu den Treibhausgas­emissionen unterscheiden“, hält NÖM-Vorstand Alfred Berger fest. Prinzipiell hat Österreich hier mal gute Voraussetzungen. Berger: „58% der österreichischen Milch kommen aus Grünlandregionen. Grünland, welches über viele Jahre hinweg erhalten bleibt, hat eine besonders hohe Kohlenstoffspeicherleistung, da die Pflanzenwurzeln stetig organisches Material in den Boden einbringen.“ Diesen Vorteil betont man naturgemäß auch bei der ARGE Heumilch. Geschäftsführerin Christiane Mösl berichtet aus einer Studie der Boku von Werner Zollitsch: „Heumilchkühe werden überwiegend mit Gras, Kräutern und Heu von Wiese, Weide oder der Alm gefüttert. Da sie überwiegend vom Dauergrünland und nicht mit Ackerfrüchten, also Getreide, ernährt werden, sind sie dank ihrer Fütterungsweise kaum Nahrungskonkurrenten des Menschen. Der Humus im Dauergrünland speichert zudem sehr viel Kohlenstoff – in tieferen Bodenschichten sogar mehr als der durchschnittliche Waldboden und ein Viertel mehr als Ackerboden. Da der Boden in der Heuwirtschaft anders als am Acker nicht umgebrochen wird, bleibt dieser Kohlenstoff gebunden und entweicht nicht in die Atmosphäre, wo er sich mit Sauerstoff zu CO2 verbinden und klimarelevant werden würde.“ In heumilchverarbeitenden Betrieben hebt man natürlich ebenfalls die Vorzüge dieser ursprünglichen Wirtschaftsweise hervor. Gerrit Woerle, GF Woerle: „Die besonders schonende und extensive Wirtschaftsweise wirkt sich positiv auf die Natur aus und trägt entscheidend zum Schutz der Umwelt und zum Erhalt der Artenvielfalt bei.“ Käserebellen-GF Andreas Geisler ergänzt noch einen weiteren Aspekt: „Im Heumilchregulativ liegt der Fokus auf dem Grundfutter und der Einsatz von Getreide ist begrenzt. Bei einem Futterzukauf darf dieser nur aus europäischer Herkunft sein. Dies reduziert den ökologischen Fußabdruck und trägt zur Schonung der Ressourcen bei.“

WIESE. Auch bei sog. „Bio Wiesenmilch“ zielt man darauf ab, die Milchkühe soweit als möglich von Grünfutter zu ernähren. „Die Kühe müssen deshalb mindestens 90 Tage während der Vegetationsperiode, und dann täglich mindestens drei Stunden, auf der Weide sein“, berichtet Kärntnermilch-GF Helmut Petschar.

WEG. Ein weiterer Einflussfaktor ist der Transportweg, den kurz zu halten natürlich nicht nur aus ökologischer Sicht Sinn macht. „Unsere Milch wird mit eigenen Milchwägen von rund 33 Schaf- und Ziegenbauernhöfen aus der Region eingesammelt“, schildert etwa Käsemacher-Geschäftsführerin Doris Ploner. „Dies ist nicht nur äußerst CO2-sparend, sondern vor allem nachhaltig, da die Wertschöpfung in der beheimateten Region bleibt.“ Ähnliches hört man von Gerrit Woerle: „Wir beziehen unsere regionale Heumilch von Landwirt:innen aus einem Umkreis von maximal 50 Kilometern.“

PACKAGING. Natürlich prägt nicht nur die Milch selbst den ökologischen Fußabdruck, sondern auch die Art und Weise, wie sie bzw. die daraus erzeugten Produkte verpackt werden. Im Kühlregal ist hier seit einigen Jahren eine intensive Optimierungstätigkeit der Hersteller zu beobachten. Und auch hier gilt: Die eine optimale Verpackungsform für Milchprodukte gibt es nicht, wohl aber viele Ansätze, die dem Konzept Reduce – Reuse – Recycle entsprechen, also prinzipiell zurückhaltend im Einsatz mit (Material-)Ressourcen sind. Bei der Kärntnermilch etwa verwendet man für die flüssigen Milchprodukte pflanzenbasierte „Tetra Top“-Verpackungen, die einen Anteil von über 90% an nachwachsenden Rohstoffen haben. Woerle hat für seine Verpackungsschalen seit zwei Jahren Recycling-PET im Einsatz. Die SalzburgMilch verkauft ihre Käsescheiben ab sofort in Monomaterial-Verpackungen. Beim Schaf- und Ziegenjoghurt der Käsemacher kommt seit rund einem Jahr ein Kartonmantelbecher mit Alu-Platine zum Einsatz und die Auslieferung des gesamten Produktsortiments erfolgt in naturfarbenen, ungebleichten Kartons, die keine Primärfaser enthalten. Bei der Berglandmilch konnten durch Investition in neue Materialien und Technologien bei den Käsescheiben jährlich rund 30.000kg Plastik eingespart werden. Zudem setzt man etwa bei den „Schärdinger Trinkträumen“ auf einen gesteigerten Rezyklat-Anteil (50 bis 100%). Die Berglandmilch hat aber auch das Comeback von Milchprodukten in Mehrweg-Gebinden durch die Investition in entsprechende Anlagen ermöglicht. In der Erlebnis Sennerei Zillertal berichtet man uns von 100% klimaneutralen Milchpackungen, einem recyclebaren 3-Komponenten-Joghurtbecher, einer 95% Recyclingquote der Käsescheiben-Verpackung sowie 100% recyclebaren Umkartons bei allen Produkten. Und die NÖM setzt bei ihrem Klassiker „nöm Mix“ neuerdings auf einen Becher im Kartonmantel. Wird der Mantel abgelöst, kann der Kunststoffbecher in der Sortieranlage als recyclingfähig erkannt und in den richtigen Materialstrom geleitet werden. Vorstand Alfred Berger gibt jedoch in Sachen Packaging spannende Denkanstöße: „Zum Thema Kreislaufwirtschaft ist ein Butterbecher aufgrund seiner Monomaterialbeschaffenheit (Anm.: PP) in Hinblick auf Recyclingfähigkeit als sehr gut zu bewerten, hat jedoch seine Defizite bei der Plastik-Reduktion. Die Butterfolie ist hingegen bei der Recyclingfähigkeit aufgrund des (für die Barriereeigenschaften notwendigen) Verbundmaterials schlechter zu bewerten und ist wiederum bei der Plastik-Reduktion besser einzustufen.“

AUFWAND. In die nachhaltige Gestaltung von Milchprodukten fließen also immens viele Überlegungen mit ein, aber auch immens viel Aufwand. Andreas Geisler, Käserebellen, erläutert dies am Beispiel Heumilch: „Die Erzeugung von Heumilch ist aufgrund der Bestimmungen im Heumilchregulativ deutlich aufwendiger. Einerseits benötigt die Trocknung von Heu Schönwetterperioden und entsprechende Lagerkapazitäten und zum anderen sind billige industrielle Nebenprodukte für die Fütterung verboten. Zudem vermindert die begrenzte Fütterung von Getreide die Milchleistung der Kühe.“ Christiane Mösl von der ARGE Heumilch ergänzt, dass auch bei der nachhaltigen Mahd ein Zusatzaufwand entsteht: „Heumilchbäuerinnen und -bauern setzen auf eine mosaikartige Bewirtschaftung. Bei dieser werden nicht alle Flächen auf einmal gemäht, sondern zeitlich und räumlich gestaffelt.“ Doris Ploner von den Käsemachern ist ebenfalls der Ansicht, dass es Nachhaltigkeit nicht umsonst gibt: „Nachhaltigkeit erfordert fast immer den Einsatz neuer Verfahren und Veränderungen. Diese Veränderungen bedeuten oft höhere Investitionen in neue Technologien, Maschinen oder Strukturen. Dies beginnt bei den Landwirt:innen bei den Maßnahmen zur Verbesserung des Tierwohls, in der Produktion, bei bestimmten Verfahren, diversen Anlagen und Investitionen in erneuerbare Energieformen und setzt sich fort bis zu Zertifizierungs- und Kontrollkosten.“ Und auch in der Erlebnis Sennerei Zillertal ist man mit Zusatzaufwand für mehr Nachhaltigkeit konfrontiert. GF Christian Kröll: „Es verlangt unseren Bergbauern und -bäuerinnen natürlich einiges ab, die steilen Berghänge des Zillertals zu bewirtschaften. Teilweise wird hier sogar noch in mühevoller Arbeit von Hand gemäht. Auch der Almauf- und Abtrieb nimmt sehr viel Zeit und Aufwand in Anspruch.“ Berglandmilch-GF Josef Braunshofer wartet ebenfalls mit einem sehr konkreten Beispiel für durch Nachhaltigkeits-Maßnahmen verursachte Kosten auf: „Studien und Feldversuche zeigten, dass beispielsweise die Beimischung von bestimmten Pflanzenextrakten, Kräutern und ätherischen Ölen in den Futterrationen für positive Wirkungen auf Tiergesundheit, Milchqualität und Futtereffizienz sorgt. Darüber hinaus hat der o.a. Einsatz von diesen Beimischungen das Potential, schädliche Methanemissionen, welche auf natürliche Weise während des Verdauungsprozesses der Wiederkäuer entstehen, zu reduzieren. Die diesbezüglichen Mehrkosten ohne die Berücksichtigung positiver Konsequenzen in Bezug auf Milchmenge und Milchqualität betragen hier zum Beispiel € 0,91 pro kg Fertigmischung.“ Alfred Berger, NÖM, ergänzt noch ein Beispiel aus dem Bereich Materialkosten im Sinne eines nachhaltigen Packagings: „rePET ist deutlich teurer als herkömmliches PET, nämlich derzeit um ca. 45-60%.“

BETRIEB. Auch in den verarbeitenden Betrieben selbst sind natürlich große Hebel für mehr Nachhaltigkeit vorhanden – und werden auch intensiv genutzt: Die Standorte der Käserebellen beispielsweise sind EMAS bzw. ISO 14001 zertifiziert, wobei dies mit dem gesteigerten Einsatz erneuerbarer Energien sowie dem Abbau der Emissionen bis zur Klimaneutralität einhergeht. Bei den Käsemachern hat man in den Jahren 2022/23 in neue Photovoltaik-Anlagen investiert. In der Berglandmilch setzt man auf 100% Ökostrom, ebenso auf PV-Anlagen (wie auch zahlreiche weitere Molkereien), und zudem wird das anfallende Abwasser in betriebseigenen Kläranlagen gereinigt, um nur einige von zahllosen Betriebs-Optimierungen zu nennen.

ZIELGRUPPE. Nun wird sich freilich niemand gegen eine nachhaltige Produktion aussprechen, doch die Frage ist, welche Chancen entsprechende Produkte am Markt haben bzw. welche Zielgruppe am ehesten bereit ist, die Kosten dafür zu tragen? Die Meinungen dazu gehen in der Branche auseinander. Sehr nüchtern fällt die Einschätzung von NÖM-Vorstand Alfred Berger aus: „Consumer Panel Austria GfK Ergebnisse aus dem Jahr 2023 haben uns gezeigt, dass es zu einem klaren Anstieg der Preisorientierung auf 68% gekommen ist und demnach nur noch 32% die Qualität dem Preis vorziehen. Bio oder auch Milch in Flaschen, die im Milchmarkt für Nachhaltigkeit stehen, verlieren aktuell Käuferreichweite zu Gunsten preisgünstiger Produktkonzepte wie H-Milch und Preiseinstiegsmarken. Also leider Nein – Nachhaltigkeit ist dem österreichischen Konsumenten unter den aktuellen Marktbedingungen keinen Aufpreis wert.“ Gerrit Woerle schlägt in eine ähnliche Kerbe: „Während der stark gestiegenen Inflation in den letzten beiden Jahren war zu beobachten, dass sich viele Konsument:innen eher Richtung Preiseinstieg bewegten. Dies machte es natürlich zur Herausforderung, mit qualitativ hochwertigen Produkten zu punkten.“ Doris Ploner, GF Käsemacher, meint hingegen: „Die Bereitschaft Mehrkosten für nachhaltigere Milchprodukte zu zahlen, ist in den letzten Jahren gefühlt gestiegen, da das Bewusstsein für Umwelt- und Klimaschutz sowie für Tierwohl zugenommen hat. Trotzdem variiert diese Bereitschaft je nach Zielgruppe stark. Besonders die umwelt- und gesundheitsbewusste, urbane und jüngere Zielgruppe akzeptiert die häufig höheren Preise für Produkte, die regional und unter nachhaltigen Bedingungen hergestellt werden.  Für preisbewusste Konsument:innen, die eine geringere Zahlungsbereitschaft haben, bleiben nachhaltige Milchprodukte eher die Ausnahme. Besonders bei Haushalten mit geringerem Einkommen ist die Rolle des Preises dem des Nachhaltigkeitsaspektes übergeordnet.“ Josef Braunshofer von der Berglandmilch berichtet wiederum: „Gefragt, spricht sich die überwiegende Mehrheit unserer Konsument:innen für Nachhaltigkeit aus. Der konkrete Kaufakt zeigt oft davon abweichende Präferenzen.“ Christiane Mösl, ARGE Heumilch, berichtet einmal mehr am Beispiel Heumilchprodukte, wer sich Nachhaltigkeit auch etwas kosten lässt: „Die Käufer – oder besser die Käuferinnen – von Heumilchprodukten sind eher weiblich, überdurchschnittlich gebildet und haben sehr oft Kinder im Haushalt. Sie sind tendentiell in den Städten zu Hause.“

FAZIT. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass die Player der heimischen Milchwirtschaft die unterschiedlichen Möglichkeiten, nachhaltiger zu agieren, intensiv nutzen. Und auch eine Zielgruppe für nachhaltig erzeugte Produkte ist zweifellos vorhanden, wenngleich der entsprechende Mehrpreis vielen Konsument:innen die Entscheidung dafür derzeit nicht einfach macht.