Hausgemacht

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Eine Befragung von Beschäftigten in oberösterreichischen Gastronomiebetrieben ergab, dass das Problem des Personalmangels zu einem Großteil auf die Arbeitsbedingungen zurückzuführen ist. PRODUKT hat mit Dr. Johanna Neuhauser von der Universität Wien über die Ergebnisse der Studie gesprochen.

Kategorie: Stories
PRODUKT: Was sind die Eckdaten Ihrer Studie?
Neuhauser:
Ausgangspunkt unserer Untersuchung war, dass in der aktuellen Debatte zum sogenannten Fachkräftemangel im Gastgewerbe die Sicht der Beschäftigten selbst kaum abgebildet wurde. Ziel der von der AK Oberösterreich geförderten Studie der Universität Wien war es, diese Lücke zu schließen und die Erfahrungen der Beschäftigten ins Zentrum stellen. Im Rahmen der Studie wurden daher von März bis Juni 2022 Interviews mit 32 in Gastronomie und Beherbergung in Oberösterreich Beschäftigten oder ehemals Beschäftigten durchgeführt. Insgesamt wurden 21 Frauen und 11 Männer befragt, die Hälfte der Interviewten hatte einen Migrationshintergrund. Der qualitativen Befragung von Beschäftigten über ihre Arbeitsbedingungen lagen außerdem Auswertungen quantitativer Daten zugrunde. Die Analysen deuten auf strukturelle Probleme in der Branche wie eine hohe Volatilität der Beschäftigung und nachteilige Arbeitsbedingungen. Während die Zahlen vor allem einen österreichweiten Überblick über zentrale Arbeitsmarkt- und Beschäftigtendaten lieferten, vertieften die Erfahrungsberichte von in Oberösterreich im Gastgewerbe Beschäftigten diese Befunde und erlaubten es darüber hinaus auch, die Ursachen und Lösungsmöglichkeiten des Personalmangels besser herauszuarbeiten.
PRODUKT: Welche Hauptgründe für den Personalmangel in der Gastronomie gehen daraus hervor?
Neuhauser:
Die Interviews zeigen deutlich, dass die Beschäftigten die Situation des Personalmangels mit anderen Augen sehen, als dies im öffentlichen Diskurs vor allem von Arbeitgeberseite oft dargestellt wird. Besonders als nach den pandemiebedingten Schließungen der Tourismus wieder einen konjunkturellen Aufschwung erlebte, wurden vielfach Stimmen laut, die beklagten, Gastwirt:innen und Hoteliers würden kein Personal mehr finden, weil in der Krise viele Beschäftigte aus der Branche ausgestiegen seien und sich umorientiert hätten oder die Beschäftigten schlichtweg nicht mehr arbeiten wollten. Dem Personalmangel liegen aber strukturelle Probleme in der Branche zugrunde, die nicht erst seit der Pandemie bestehen. So wird die Arbeit im Gastgewerbe in den meisten Positionen stark unterdurchschnittlich entlohnt. Der Bereich Beherbergung und Gastronomie weist über alle Branchen hinweg das niedrigste mittlere Einkommen unselbstständig Erwerbstätiger auf. Hinzukommt, dass Analysen von Stellenbeschreibungen zeigen, dass relativ wenige Betriebe eine Überbezahlung anbieten. Während zwar in manchen Positionen – wie z.B. jener des Küchenchefs oder Oberkellners – mitunter eine deutlich bessere Entlohnung möglich ist, zeigen vor allem die Erfahrungen von vor allem weiblichen und häufig auch migrantischen Beschäftigten im Housekeeping oder der Küchenhilfe, dass manche Arbeitnehmer:innen mit ihrer Arbeit in der Branche nur schwer ihre Existenz sichern können. Die Beschäftigten sehen insgesamt eine unangemessene Relation zwischen den hohen Anforderungen bezüglich Arbeitszeiten, Arbeitsdruck und den gefragten Kompetenzen einerseits und dem, was dann am Konto ankommt, andererseits. Unter allen Befragten gab es eine große Unzufriedenheit mit den Arbeitszeiten. Als besonders belastend werden geteilte Dienste, zu regelmäßige Wochenendarbeit, häufige Überstunden und zu kurze Ruhezeiten genannt. Dabei haben die Beschäftigten durchaus Verständnis für die spezifischen Voraussetzungen im Gastgewerbe, z. B. im Bedienen von Randzeiten. Doch wenn beispielsweise Ruhezeiten systematisch verletzt werden, ist für die Beschäftigten eine Grenze überschritten. Eine junge Auszubildende zur Restaurantfachfrau berichtete beispielsweise davon, dass sie in einem Landgasthaus im Salzkammergut regelmäßig bis in die Morgenstunden arbeiten und nach wenigen Stunden Schlaf wieder ihren Dienst antreten musste. Angesichts solcher Bedingungen verwundert es daher kaum, wenn Beschäftigte sagen, „da bin ich lieber Staplerfahrer oder räume beim Billa Regale ein“.

PRODUKT: Was können Gastronom:innen tun, um bestehendes Personal zu halten bzw. neue Mitarbeiter:innen anzuwerben?
Neuhauser:
Die zwei größten Hebel zu Verbesserung der Arbeitsbedingungen sind sicher Zeit und Geld. Existenzsichernde Grundlöhne, transparente Auszahlungspraxen und die Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen insbesondere in Bezug auf Arbeitszeit- bzw. Arbeitsruheregelungen sollten selbstverständlich sein. Darüber hinaus sollten sich die hohen Anforderungen der Arbeitgeber:innen an die Beschäftigten in der Branche auch stärker in deren Überzahlungsbereitschaft widerspiegeln. Beispiele vorbildhafter Betriebe zeigen, dass eine verbesserte Entlohnung und attraktivere Arbeitsbedingungen Abhilfe bei Schwierigkeiten, Personal zu rekrutieren, schaffen können. Flexible Arbeitszeitmodelle, die Wünsche von Arbeitnehmer:innen berücksichtigen, Arbeitszeitverkürzungen und vor allem auch planbarere Arbeitszeiten wären hierfür wichtige Ansatzpunkte. Die häufig resignierten Antworten von Beschäftigten auf die Frage nach einem beruflichen Aufstieg im Gastgewerbe zeigen außerdem, dass auch verbesserte Entwicklungsmöglichkeiten und längerfristige Perspektiven für die Beschäftigten in der Branche wichtig wären. Dabei wäre die Integration von lebensorientierten Ansätzen, die zum Beispiel die besonderen Voraussetzungen und Bedürfnisse von Arbeitnehmer:innen mit Familie oder älteren Beschäftigten berücksichtigen, von zentraler Bedeutung.

PRODUKT: Was erwarten sich Angestellte in der Gastrobranche?
Neuhauser:
In Prinzip deckt sich das mit den eben genannten Lösungsvorschlägen. Es geht vor allem darum, dass die Kluft zwischen den hohen Anforderungen, die in der Branche an Beschäftigte gestellt werden, und dem, was Beschäftigte als Lohn und Anerkennung dafür erhalten, geschlossen wird. Das ist nicht nur eine monetäre Frage. Die Erzählungen von dem oft rauen Umgangston sowie stark ausgeprägten Hierarchien in den Betrieben machen zudem deutlich, dass es auch einen Wandel der Branchenkultur hin zu einem größeren Bewusstsein der Arbeitgeber:innen über ihre Fürsorgepflichten, zu Maßnahmen zur Linderung des Arbeitsdrucks im Betrieb, der vor allem in kleineren Betrieben Arbeitgeber:innen ebenso trifft, sowie zu Strategien zur Stärkung von Personalführungskompetenzen bräuchte.

PRODUKT: Was macht einen Gastronomiebetrieb zu einem attraktiven Lehrplatz?
Neuhauser:
Ein deutliches Ergebnis unserer Studie war, dass es in der Branche besonders vulnerable Gruppen wie junge Beschäftigte, vor allem Lehrlinge und andere Auszubildende, sowie Migrant:innen gibt. Aufgrund ihres Alters bzw. mangelnder Sprach- und Rechtskenntnisse werden sie leichter zu Opfern von Arbeitsrechtsverletzungen und Ausbeutung. Die Drop-Out-Quote für Lehrlinge im Bereich Restaurantfachmann/-frau lag zwischen 2018 und 2020 österreichweit bei 51 Prozent, bei Köch:innen bei 40,7 Prozent. „Normal“ ist über alle Branchen hinweg ein Wert von knapp mehr als einem Viertel. Die Studienergebnisse weisen auf die Hintergründe für die rückläufige Attraktivität der Lehrberufe im Tourismus hin. Zwar beschrieben die befragten Lehrlinge eine hohe Anfangsmotivation und ein großes inhaltliches Interesse an der Tätigkeit in der Branche, die jedoch schnell von schwierigen und zum Teil unzulässigen Ausbildungsbedingungen, massiven Übertretungen von Jugendschutz- und Arbeitszeitbestimmungen und ausbildungsfremden Tätigkeiten im Betrieb überschattet wurden. Die Studie bestätigt damit quantitative Erhebungen wie die des Lehrlingsmonitors (von AK, ÖGJ und ÖGB), die zeigen, dass die Wunschberufsquote eher überdurchschnittlich ist, die Bedingungen in den Lehrbetrieben die jungen Menschen aber dann enttäuschen. Wer gerne Köchin werden will und dann aufgrund von Personalknappheit drei Jahre nur am Frühstücksbuffet steht, denkt irgendwann über einen Branchenausstieg nach. Um das zu verhindern, braucht es eine verbesserte Qualitätssicherung in der dualen Lehrausbildung. Es muss sichergestellt werden, dass – wie es eine Interviewte ausdrückt – Lehrlinge nicht als „billige Arbeitskräfte“ benutzt werden. Dafür bedarf es einer regelmäßigen Kontrolle der Lehrbetriebe. Bei der betrieblichen Lehrstellenförderung sollte kein Gießkannenprinzip herrschen, sondern vor allem jene Betriebe gefördert werden, die niedrige Lehrabbruchsquoten haben, sozial benachteiligten Jugendlichen eine Chance geben und qualitätsvoll ausbilden. Die wichtigsten Maßnahmen, um die Branche auch für junge Menschen wieder attraktiver zu machen, sind aber insgesamt Verbesserungen der Arbeitsbedingungen, insbesondere eine Reduktion der häufig extensiven Arbeitsstunden und damit der – für Jugendliche besonders zentralen – Work-Life-Balance.

PRODUKT: Ihre dringlichste Empfehlung an Gastronom:innen – aber auch Angestellte in der Gastronomie – in der momentanen Situation?
Neuhauser:
Die Stellschraube für den Personalmangel im Gastgewerbe liegt eindeutig in der Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Positivbeispiele zeigen, dass Probleme bei der Personalrekrutierung in Betrieben häufig dadurch beseitigt werden können, indem beispielsweise eine Überbezahlung oder arbeitnehmerfreundliche Arbeitszeitmodelle wie beispielsweise eine Vier-Tage-Woche angeboten werden. Von diesen vorbildhaften Betrieben kann man sich sicher viel abschauen. Es ist aber auch klar, dass sich nicht nur die Branche selbst, sondern auch der Umgang der Gesellschaft mit der Gastronomie verändern muss. Wir alle als Konsument:innen müssen uns fragen, inwiefern wir eine Allzeit-Verfügbarkeit gastronomischer Services erwarten können. Konkret heißt das zum Beispiel, dass eine größere Akzeptanz gegenüber eingeschränkteren Öffnungszeiten und früheren Sperrstunden entwickelt werden müsste. Wir hoffen, mit unserer Studie dazu beizutragen, auch uns alle als Konsument:innen und Gäste für die häufig schwierigen Arbeitsrealitäten von Menschen im Gastgewerbe zu sensibilisieren.

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