Leichter machen

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Der Verein Foodwatch setzt sich dafür ein, dass Verbraucher:innen im Supermarkt schnell und zuverlässig erkennen können, welche Lebensmittel gesund und welche eher nicht für den täglichen Verzehr geeignet sind. Eine zentrale Forderung dabei ist die Einführung des Nutri-Scores. Wir haben mit Heidi Porstner und Lisa Kernegger von Foodwatch gesprochen.

Kategorie: Stories
PRODUKT: „Gesunde Ernährung“ wird als einer der Megatrends im Einkaufsverhalten der Verbraucher:innen gehandelt – wie beurteilen Sie das? 
Porstner: Wir sehen bei unseren Recherchen im Supermarkt häufig Lebensmittel, die mit Gesundheitsversprechen werben. Joghurts versprechen Kraft durch einen besonders hohen Proteingehalt. Säfte werden mit Vitaminen angereichert. Jede:r redet heute über das Immunsystem. Hersteller scheinen das Bedürfnis nach Gesundheit zu nutzen, um ihre Produkte noch attraktiver zu machen. Wir hören immer wieder, dass der Lebensmittelmarkt stark umkämpft ist. Studien zeigen, dass Konsument:innen Produkte mit sogenannten Health Claims – also Gesundheitsversprechen – gegenüber anderen Produkten bevorzugen. Teilweise wird den Konsument:innen aber sehr viel Geld aus der Tasche gezogen, wenn sie sich besonders um ihre Gesundheit sorgen. Wir haben vor kurzem bei einem Drogeriemarkt einen Ingwer-Shot gefunden, der auf den Liter gerechnet € 65,- kostet.  Was wir auch sehen: Konsument:innen werden mit gesundheitsbezogenen Angaben manchmal gehörig in die Irre geführt. Einige Lebensmittelhersteller verpassen damit nämlich sogar Zucker- oder Fettbomben wie Eis oder Chips einen gesunden Anstrich. Darüber, wie gesund oder ungesund das Lebensmittel an sich ist, sagen die Health Claims oft nichts aus. Wir fordern schon seit Langem, dass diese „gesunden Versprechen“ an ein tatsächlich ausgewogenes Nährwertprofil geknüpft werden.

PRODUKT: Weiß die/der durchschnittliche Verbraucher:in überhaupt, was gesund ist?
Kernegger: Wenn man sich die Statistiken zum Übergewicht in Österreich ansieht, könnte man daraus schließen, dass das Ernährungswissen nicht ausreichend vorhanden ist oder zumindest nicht ausreichend umgesetzt werden kann. Im Supermarkt wird es uns Konsument:innen nicht leicht gemacht, zu entscheiden, welches das ausgewogenere Produkt ist. Gummibärchen werben mit Vitaminen und geben sich so ein gesünderes Image. Chips werden mit „light“ beworben, aber der Salzgehalt ist höher als bei normalen Kartoffelchips. Selbst bei Lebensmitteln, bei denen man davon ausgehen könnte, dass sie an sich gesund sind, gibt es große Unterschiede. Stellen Sie sich nur mal ein Supermarktregal mit Müslis und Frühstückscerealien vor. Da gibt es Angebote, die sollten besser in der Süßwarenabteilung untergebracht werden. Aber für uns Konsument:innen ist das nicht leicht zu durchschauen. Viele der Verpackungen wollen einen besonders gesunden Anschein erwecken. Die Entscheidung für ein Produkt fällt innerhalb weniger Sekunden. Viele von uns haben nicht die Zeit, sich mit Nährwerttabellen herumzuschlagen. Die müssen zwar die wichtigsten Nährstoffe angeben, schlau wird man daraus aber nicht unbedingt. Zum Beispiel kann ich als Konsument:in daraus nicht ablesen, wie viel Zucker von Natur aus im Müsli ist und wie viel zugesetzt wurde. Da braucht es dringend eine leichter verständliche Kennzeichnung der Lebensmittel. Damit wir uns im Supermarkt auf einen Blick für das ausgewogenere Produkt entscheiden können, ohne lange das Kleingedruckte zu studieren.

PRODUKT: Sie sind dezidiert für die Einführung des Nutri-Score – warum?
Porstner: Wir sind für die Einführung einer leicht verständlichen Nährwertkennzeichnung auf der Packungsvorderseite. Ampelfarben sind für Konsument:innen am nachvollziehbarsten. Dazu gibt’s mittlerweile zahlreiche Untersuchungen. Wichtig ist auch, dass die Kennzeichnung von unabhängigen Stellen entwickelt wird und auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basiert. Der Nutri-Score ist zur Zeit das einzige Label, das genau diese Anforderungen erfüllt. Er wurde von Wissenschafter:innen entwickelt. Er übersetzt im Wesentlichen die Nährwerttabelle in eine 5-stufige Farbskala, die zusätzlich mit Buchstaben hinterlegt ist. Die reicht von einem dunkelgrünen A bis zu einem roten E. Günstige Nährstoffe wie Eiweiß, Ballaststoffe, aber auch der Obst- oder Gemüseanteil wirken sich günstig auf den Score aus. Gesättigte Fettsäuren, ein hoher Salz- oder Zuckergehalt schlagen negativ zu Buche. Der Nutri-Score hilft Konsument:innen, auf einen Blick zu erkennen, wie es um die Nährwertqualität eines Lebensmittels bestellt ist. Er hilft besonders beim Vergleich von Lebensmitteln innerhalb einer Produktgruppe. Nehmen wir nochmal das Beispiel Müsliregal her: Der Nutri-Score würde auf einen Blick die riesigen Unterschiede sichtbar machen. Und er würde jene Produkte „enttarnen“, die nur auf „fit und gesund“ tun, in Wahrheit aber eher Naschereien sind.

PRODUKT: Inwieweit haben der Nutri-Score oder auch ähnliche andere Kennzeichnungssysteme Einfluss auf Rezepturen und Produktentwicklungen?
Kernegger: Es gibt mittlerweile Erfahrungen aus sechs EU-Ländern, unter anderem auch in Deutschland. Nachdem für den Nutri-Score dort die rechtliche Grundlage geschaffen wurde, verwenden immer mehr Hersteller den Nutri-Score. Wir wissen von einigen Herstellern, dass sie Rezepturen angepasst haben, um einen besseren Score zu erreichen. Sie haben den Zuckeranteil oder den Salzgehalt reduziert. Statt gesättigten Fetten werden jetzt hochwertigere Öle verwendet. In manchen Rezepturen findet sich jetzt mehr Gemüse.

PRODUKT: Was wären Ihrer Meinung nach weitere sinnvolle Maßnahmen, um gesunde Ernährung zu forcieren?
Porstner: Eine leicht verständliche Nährwertkennzeichnung ist ein wichtiger Beitrag in einem Set von Maßnahmen, die dringend notwendig sind, um es den Menschen leichter zu machen, sich gesünder zu ernähren. Viele vertrauen auf das, was ihnen mit der Lebensmittelverpackung versprochen wird. Umso wichtiger ist es, dass es da ein unabhängiges Bewertungssystem gibt. Darüber hinaus müssen sich Behörden und Regierungen überlegen, wie man den Menschen möglichst früh und leicht verständlich beibringt, was es bedeutet, sich ausgewogen zu ernähren: in Kindergärten, Schulen, am Arbeitsplatz etc. Und man muss es den Menschen auch leicht machen, sich gesund zu ernähren. Nach wie vor sind ungesunde Lebensmittel viel leichter und überall verfügbar, z.B. in den Automaten am Bahnhof, in Schulen oder Kantinen. Wenn man sich ausgewogen ernähren will, ist das derzeit unterwegs noch viel aufwändiger.

PRODUKT: Was würden Sie sich konkret von den Herstellern, dem Handel und der Politik wünschen?
Kernegger: Die österreichische Bundesregierung muss die Anwendung des Nutri-Scores endlich ermöglichen und damit Rechtssicherheit für die Unternehmen schaffen. Damit wäre zumindest eine freiwillige Verwendung möglich. Verpflichtend kann eine solche Kennzeichnung auf der Verpackungsvorderseite nur auf EU-Ebene eingeführt werden. Die Hersteller ihrerseits müssen die Produkte so gestalten, dass Konsument:innen sich nicht mehr in die Irre geführt fühlen. Nur tatsächlich ausgewogene Produkte sollen auch mit Gesundheits-Claims werben dürfen.

PRODUKT: Die Themen Gesundheit und Selbst­optimierung scheinen omnipräsent, welchen Platz kann hier Genuss noch einnehmen?
Postner: Wir Konsument:innen wollen wissen, was wir essen. Das Wichtigste aus Sicht von Foodwatch ist, dass die Menschen im Supermarkt schnell und einfach erkennen, was sie eigentlich kaufen. Transparenz auf der Verpackung ist sehr wichtig. Wie ausgewogen oder unausgewogen ein Lebensmittel ist, muss auf einen Blick erkennbar sein. Nur dann können Konsument:innen ihr Einkaufsverhalten entsprechend gestalten. Dann kann auch jede:r auf einer guten Basis entscheiden, ob man sich was gönnt, was vielleicht mal nicht der Definition „gesund“ entspricht. Wir Konsument:innen haben ein Recht auf ehrliche Lebensmittel und darauf, nicht in die Irre geführt zu werden. Dann ist das Einkaufen im Supermarkt kein kompliziertes Suchspiel mehr.

PRODUKT: Danke für das Gespräch!

interview foodwatch