Maßgeschneidert

Edith Rührer, Senior Consultant Advanced Solutions bei GfK Austria

Passend zu unserem Heft-Thema „Zielgruppen – jedem das Seine“ haben wir diesmal mit Edith Rührer, Senior Consultant Advanced Solutions bei GfK Austria, geplaudert und mit ihr ergründet, wie gut man seine Zielgruppe wirklich kennen sollte und wo diesbzgl. die größten Potentiale für die Zukunft liegen.

Kategorie: Stories

RODUKT: Wie definieren Sie den Begriff Zielgruppe und wie hat sich die Bedeutung von Zielgruppen im Marketing in den letzten Jahren verändert?
Rührer: Eine Zielgruppe ist eine Gruppe von Personen, die auf Marketing-Aktivitäten homogen reagieren, sich aber von anderen Personen bzw. der Gesamtbevölkerung in ihrer Reaktion auf diese Marketingaktivitäten klar unterscheiden. Zielgruppen sind notwendig, um einen immer differenzierteren Markt bearbeiten zu können. Die Differenzierung ist sowohl angebots- als auch nachfrageseitig getrieben: Einerseits gibt es bereits ein extrem breites Angebot – v.a. im FMCG-Bereich. Wenn nun ein Hersteller einfach ein Me-too-Produkt ohne zusätzlichen Nutzen auf den Markt bringt, welcher für die Zielgruppe definiert wurde, wird dieses Produkt langfristig am Markt nicht erfolgreich sein. Wer also neu in einen Markt einsteigen will, muss etwas Besonderes zu bieten haben. Dadurch entsteht angebotsseitige Vielfalt. Auf der anderen Seite werden Konsumenten auch immer heterogener. Sie sind nicht mehr mit Standardprodukten zufrieden und wollen Produkte, die genau auf ihre spezifischen Bedürfnisse zugeschnitten sind. Deshalb beschäftigen Unternehmen sich heute intensiver denn je mit Zielgruppen, da eine klassische soziodemographische Einteilung nach Geschlecht oder Alter zu unspezifisch ist. 

PRODUKT: Warum ist es wichtig, sowohl in der Produktentwicklung als auch im Marketing die Frage nach der Zielgruppe zu stellen?
Rührer: Im Prinzip geht es darum herauszufinden, wie man das Marketingbudget so effizient wie möglich einsetzt. Im Innovationsprozess ist eine Zielgruppensegmentierung zu allererst einmal notwendig, um Potenziale und White Spaces in einem Markt aufzudecken. Sie hilft also zu verstehen, innerhalb welcher Segmente Innovationen groß werden können, wo sich die Profit Pools befinden. Wenn man sich einmal für das Segment entschieden hat, ist es wichtig die Konsumenten sehr genau zu verstehen – das benötigt man nämlich als Inspiration für die Ideen-Generierung. Auch für die darauf folgende Produktentwicklung und Optimierung ist es wichtig, die Bedürfnisse der Zielgruppe zu verstehen, z.B. bei der Entwicklung der Verpackung. Man braucht die Zielgruppe natürlich auch für den restlichen Marketing Mix: Ich möchte wissen, in welchen Verkaufskanälen ich meine Zielgruppe antreffe, mit welcher Kommunikation und über welche Kommunikationskanäle ich sie am effizientesten erreiche und was die beste Preisstellung ist. Aber Zielgruppen sind nicht nur im Innovationsbereich wichtig. Auch für die Führung etablierter Marken und Produkte ist es sehr wichtig die Zielgruppen zu verstehen. Im Grunde ist das Verständnis der Zielgruppe für den gesamten Marketingplan essentiell.
PRODUKT: Welche Zielgruppen nehmen Sie im Vergleich zu vor einigen Jahrzehnten als „neu“ wahr?
Rührer: Früher hat man Zielgruppen v.a. anhand von Demographien beschrieben. Das lag zum Teil vielleicht auch daran, dass Menschen früher noch stärker stereotype Verhalten entsprechend ihrer Demographien gezeigt haben als heute. Ich denke, heute ist klar, dass man die Daten aus möglichst vielen verschiedenen Blickwinkeln betrachten sollte. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch – es ist natürlich immer noch wichtig, die Demographien zu kennen – es ist nur nicht ausreichend.
PRODUKT: Zielgruppen werden heute oft sehr ausdifferenziert beschrieben. Wie viel bzw. was sollte man tatsächlich über seine Zielgruppe wissen, um am Markt erfolgreich agieren zu können?
Rührer: Je mehr Variablen man in eine Segmentierung einfließen lässt, desto wahrscheinlicher ist es, dass man eine relevante, homogene Zielgruppe mit Potenzial identifizieren kann. Je mehr Facetten der Zielgruppe man versteht, desto wahrscheinlicher ist es einen Weg zu finden, die Gruppe ressourceneffizient anzusprechen. Interessant sind Aspekte wie Demographien, Einstellungen, Verhalten in Bezug auf die Kategorie, Werte und Lebensstile sowie Mediennutzung. Wir bei der GfK schauen uns jedenfalls all diese Aspekte an, wenn wir für unsere Kunden Zielgruppen bilden und beschreiben. Dadurch, dass wir in unserem Haushaltspanel diese Variablen mit tatsächlich gemessenen Verhalten verbinden können, kann man nicht nur ansehen, wie viele Personen hinter jeder möglichen Zielgruppe stehen, sondern auch exakt messen, wieviel Volumen und Umsatz jedes Segment bringt und wie sich diese volumetrischen Kennzahlen über die Zeit entwickeln. Das ist natürlich für die Potenzialabschätzung extrem hilfreich und macht unser Segmentierungs-Tool so einzigartig.

PRODUKT: Welche Zielgruppen werden aus Ihrer Sicht von der FMCG-Branche noch nicht vollständig ausgeschöpft? Wo orten Sie noch Potentiale?
Rührer: Viele Unternehmen wollen ständig ihr Produkt verjüngen, weil sie sich Sorgen machen, dass ihnen die Zielgruppe mit der Zeit „wegstirbt“, oder dass sie die nächste Generation verpassen und für die dann nicht mehr relevant sind. Daher hört die Zielgruppenbeschreibung an die Kreativagentur oft bei 40 oder 45 auf, auch wenn die Daten zeigen, dass ein großer Teil des Umsatzes eines Segments von älteren Konsumenten kommt. Es ist halt andererseits so, dass die älteren Zielgruppen definitiv die größte Umsatzbedeutung haben – und der demographische Wandel findet auch in Österreich statt. Das heißt, das Potenzial der älteren Gruppe wächst weiterhin.

PRODUKT: Zum Abschluss ganz persönlich: Wie würden Sie die Zielgruppe beschreiben, der Sie angehören?
Rührer: Ich gehöre ganz vielen verschiedenen Zielgruppen an. Je nachdem, um welches Produkt oder Service es sich handelt, ist ein anderer Aspekt meiner Einstellungen, Verhalten und Lebensweisen relevant. Ich liebe z.B. klassische Musik und mag besonders gerne Kammermusik. Auf Basis meiner Konzertbesuche würde man mich wohl als sehr konservativ und wenig offen für Innovation bezeichnen. Andererseits probiere ich wahnsinnig gerne Innovationen im Getränkebereich aus – auch wenn ich rein demographisch betrachtet wohl nicht mehr ganz der Zielgruppe des Young & Urban Shelfs angehöre. Man sieht schon an meinem Beispiel, dass es wichtig ist, je nach Kategorie und Fragestellung individuell zu segmentieren und mehr Faktoren als nur Demographien zu berücksichtigen.
PRODUKT: Herzlichen Dank für das Gespräch!