Alltagsgeschichte ab Hof

Tierwohl wird hier großgeschrieben. Aber auch, dass ein Tier Tier bleiben darf.

Tiefgraben am Mondsee, 4:15, der Wecker klingelt. Nochmal umdrehen? Ist ja noch dunkel draußen. Geht nicht, die Milchkühe warten. Also, los geht´s. Raus aus den Hotelbett-Federn und ab auf den Heumilchbauernhof von Veronika und Alois Widlroither, wo PRODUKT einen ganzen Tag hautnah das Leben als Landwirt miterleben durfte.

Es ist 4:45, als ich mich beim Bio-Heumilch-Bauernhof der Familie Widlroither einparke. Sogar die Kühe liegen in diesem Moment noch gemütlich im Halbdunkel auf der Weide. Veronika und Alois Widlroither treffe ich aber wie vereinbart bereits in der Milchkammer an. Wie jeden Tag bereiten sie alles vor, damit ihre 27 Milchkühe in Kürze gemolken werden können. Kurz darauf heißt es aufstehen für die Herde. Veronika treibt ihre Kühe Richtung Melkstand, und diese machen offensichtlich gerne mit. Fast scheint es, als würden sie sich anstellen, um bald dranzukommen. Es zeigt sich schon jetzt, dass die Milchkühe ganz individuelle Persönlichkeiten sind. Veronika Widlroither: „Manche kommen gerne ganz am Anfang dran und andere lieber erst gegen Ende.“ Sie wissen jedenfalls alle, wie´s läuft: Rein in den Melkstand, einen freien Platz aufsuchen und schon geht´s ans Werk: Veronika und Alois reinigen das Euter und melken händisch vor, den Rest übernimmt die Maschine. Danach gibt´s noch eine kurze Hygiene-Behandlung der Zitzen und schon heißt es ab in den Stall. Kühe mit gelbem Band am Bein sind übrigens gerade trockengestellt, werden also derzeit – etwa kurz vor der Geburt eines Kälbchens – nicht gemolken. Aber dies haben Veronika und Alois gut im Blick, schläfrig wirkt hier trotz der frühen Morgenstunde niemand. Außer mir vielleicht.

Nachwuchs.

Die ersten, die von der frisch gemolkenen Milch profitieren, sind die Babykatzen, die sich vor der Milchkammer über ihr Schälchen hermachen. Danach sind aber schon die Kälber dran. Drei wohnten zur Zeit unseres Besuches direkt am Hof und erhielten ihre Milchration direkt nach dem Melken aus einem Eimer mit Saugvorrichtung. Für den „Bullen“, wie das größte der Kälbchen von Alois gerne genannt wird, sollte es übrigens das letzte „servierte“ Frühstück sein – doch dazu später mehr.


Abgeholt. Gegen 6 Uhr, während Alois und Veronika die Milchkammer und den Melkstand säubern, kommt der Milchwagen und holt die eben gemolkene Milch sowie jene vom Vorabend ab. Der Wagen fährt ab und für Alois geht es ab in den Stall. Mit dem Kran sorgt er für Futter-Nachschub vom Heuboden, anschließend wird das Heu sowie ausreichend Kraftfutter (das in Bio-Qualität übrigens doppelt so viel kostet wie konventionell) händisch so verteilt, dass an jedem Futterplatz genug da ist. Dass vom selbst eingebrachten Heu alle satt werden, ist übrigens keineswegs selbstverständlich: „In guten Jahren reicht das Heu“, berichtet mir Alois. Doch das muss nicht immer so sein. 2017 und 2018 etwa fiel die Menge wegen mangelnden Niederschlags gering aus. Und nachdem es allen Landwirten diesbzgl. gleich ging, gab es auch kein Heu zu kaufen. Acht Kühe mussten die Widlroithers damals verkaufen, weil es schlicht nicht genug Futter gab. Mittlerweile hat man den Bestand aber wieder aufgestockt. Die Kühe sowie die beiden Stiere, die am Widlroither-Hof für den Nachwuchs sorgen dürfen, lassen es sich jedenfalls nun im Stall schmecken, bevor sie sich in ihre Liegeboxen zurückziehen. Diese müssen natürlich täglich gereinigt und bei Bedarf aufgefüllt werden.

 

 

Die erste Portion Bio-Heumilch des Tages ist für die Katz´.
All-inclusive für die Kühe, sogar Wellness-Behandlungen.
Nach dem Frühstück dürfen die Hendl aus dem Stall.

Frühstück.

Während die Kühe schmatzen, dürfen auch die Bauersleute nach fast drei Stunden Arbeit eine Pause einlegen. Gegen 7:30 gibt es nämlich Frühstück. Wenn das Wetter es zulässt, dann gerne vor dem Haus. Kein Wunder, von hier hat man einen herrlichen Blick auf den Mondsee, der auch mich für das frühe Aufstehen entschädigt. Zu Semmeln und Brot gibt es Butter, selbstgemachte Marmelade aus den Früchten des eigenen Obstgartens, Eier von den eigenen Hendln sowie frisch geernteten Paprika. Und Kaffee. Endlich, ist der verwöhnte Büromensch geneigt zu sagen. Während des Frühstücks haben wir Gelegenheit, ein wenig zu plaudern. Vier Kinder haben die Widlroithers, geboren zwischen 1993 und 1999. Georg, der drittälteste des Quartetts, wohnt mit seiner Lebensgefährtin Cornelia und der 4-jährigen Tochter Theresa mit am Hof, die beiden werden den Betrieb einmal übernehmen. Dank ihnen können die Widlroithers mittlerweile auch schon mal ein paar Tage auf Urlaub fahren, denn die Juniors schupfen inzwischen alles. Das tun sie seit ein paar Monaten übrigens auch regelmäßig sonntags in der Früh, damit Alois und Veronika auch mal ein wenig länger im Bett bleiben können. Das Ehepaar betreibt den Hof übrigens bereits seit 1991, davor waren Alois´ Eltern am Werk. Nachdem aber nicht nur Alois, sondern auch Veronika auf einem Milchbauernhof aufgewachsen ist, war es für beide klar, dass auch sie selbst ihren Lebensunterhalt als Milchbauern verdienen möchten. Erfreulicherweise konnten sie mit ihrer Begeisterung für das Dasein als Landwirt auch Sohn Georg und Schwiegertochter Cornelia anstecken. „Die Jungen“ waren es auch, die vor einigen Jahren eine Modernisierung des Hofs und die Umstellung auf Bio forciert haben, um den Betrieb fit für die Zukunft zu machen. Nach entsprechenden Investitionen und erheblichen Umbauarbeiten konnten die Widlroithers 2016 ihren modernen Laufstall in Betrieb nehmen, auf den sie bis heute sichtlich stolz sind.

Zeit zum Melken – Veronika holt die Kühe noch vor Sonnenaufgang von der Weide.
Um 4:45 beginnt am Nussbaumer-Hof der Tag im Melkstand.
Die Nächste, bitte. Die Kühe warten schon aufs Draufkommen.

Ausgefüllt.

Mehr Zeit zum Plauschen gibt´s vorerst nicht, es ist allerhand zu tun: Veronika leistet ihrer 88-jährigen Schwiegermutter Gesellschaft und greift ihr bei jenen Tätigkeiten unter die Arme, die alleine schon schwierig geworden sind. Alois mistet die Plätze der Kälber aus, lässt die Hühner und Enten aus dem Stall und dann gilt es, Heu zu machen, damit die Kühe in den nächsten Monaten genug zu fressen haben. Rund 30 Hektar sind zu mähen, dies dauert ungefähr eine Woche, wobei normalerweise drei Schnitte pro Jahr erfolgen. Zwar ist der Großteil der aktuellen Mahd bei unserem Besuch im Juni bereits erledigt, einige schwieriger zu erreichende Stellen fehlen jedoch noch. Und so rücken Alois und Sohn Georg, der sein Geld eigentlich als Zerspahnungstechniker verdient, sich aber heute freigenommen hat, mit Sense und Rechen aus, um die letzten Stellen zu mähen und bereits gemähtes Gras zu wenden. Wir schauen ihnen dabei über die Schulter, Georgs Töchterchen Theresa begleitet uns. Ich bin einmal mehr froh, heute nur Zuseherin zu sein, denn das händische Mähen und Wenden ist augenscheinlich harte Arbeit. Als die Handarbeit erledigt ist, schwingt sich Alois noch auf den Traktor, um das bereits gemähte Gras auf ein paar Flächen maschinell zu wenden. Kreiseln nennt sich das, lerne ich. Und das dauert. Bis zum Mittagessen, zu dem uns Veronika netterweise einlädt.

Auch die Enten machen ihre Morgenrunde.
Auch Bulle lässt sich die frischen Gräser schmecken.
Die Bio-Heumilchkühe der Widlroithers verbringen viel Zeit im Freien.

Fad? Nie.

Nachdem jetzt wieder alle beisammen sind, nutzen wir die Mittagspause und stellen nochviele Fragen: Ob es außerhalb der Mahdzeiten auch mal Phasen gibt, in denen die Tage nicht so ausgefüllt sind wie heute, etwa. „Fad wird uns nicht“, meint Veronika. So macht etwa auch die Pflege der Obstwiesen genug Arbeit. Aus den Früchten machen die Widlroithers Most bzw. Schnaps. „Und irgendetwas ist immer zu reparieren“, schildert Alois. Veronika ist außerdem als Leiterin der Katholischen Frauenbewegung der Pfarre Mondsee engagiert und besucht in dieser Funktion beispielsweise ältere Personen, die wenig Sozialkontakte haben. Alois ist Zeugwart bei der Freiwilligen Feuerwehr und Obmann-Stellvertreter beim Bauernbund, außerdem noch Obmann des Brandschaden Selbsthilfevereins.

An einigen Stellen muss das gemähte Gras händisch gewendet werden.
Das alles prägt Qualität und Geschmack der Milch.
Junior-Heumilchbauer Georg Widlroither übernimmt das sog. Kreiseln.

Kritik.

Und was sind eigentlich die schwierigsten Seiten des Bauernberufs? Eine der größten Herausforderungen im Alltag des Landwirts ist (neben dem frühen Aufstehen), so Veronika, Kritik an der Tierhaltung bzw. an der Milchwirtschaft im Allgemeinen – und zwar von Menschen, die sich mit diesem Thema gar nicht auseinandergesetzt haben. Veronika Widlroither betont, dass ihre Kühe artgerecht gehalten werden. „Unsere Rinder sind im Stall geboren und aufgewachsen. Sie kennen nur dieses Leben. Wir haben sie ja nicht aus der Prärie.“ Zu den Tieren haben die Widlroithers gerade deshalb eine ganz besondere Beziehung. Sichtlich gerührt berichtet uns Veronika etwa von Mia, einer „Kuh mit Aura“, die aus gesundheitlichen Gründen vor einiger Zeit eingeschläfert werden musste. Im selben Atemzug betont sie aber auch, dass v.a. in der Diskussion ums Tierwohl die Milchkühe oft zu sehr vermenschlicht werden. Man hat den Eindruck, dass die Widlroithers diesbzgl. eine gute Balance gefunden haben.

Ein Großteil der Mahd ist erledigt und wird demnächst eingebracht.

Ausgewildert.

Bio-Heumilchbauern Alois & Veronika Widlroither

Während sich Veronika und Alois Zeit genommen haben, um unsere Fragen zu beantworten, hat Sohn Georg mit Theresa auf dem „Beifahrersitz“ nochmal fehlende Stellen gekreiselt. Als er zurückkommt, müssen wir unsere Fragestunde einstellen, denn nun dürfen wir einem Highlight beiwohnen: „Bulle“ darf nun erstmals zu den anderen Jungrindern und Kalbinnen (wie die Kühe genannt werden, bevor sie das erste Kalb auf die Welt bringen) auf die Weide. Alois holt das wenige Monate alte Kalb aus seinem Auslauf, dann wandern wir in Bulles Tempo gemächlich zu der etwas höher gelegenen Wiese, auf der das Jungvieh grast, wo Bulle von den anwesenden Tieren nach anfänglichem Desinteresse doch sehr herzlich und mit viel Körperkontakt aufgenommen wird. Nachdem offenbar alle gut miteinander können, ziehen wir uns bald wieder zurück. Am Hof muss schließlich noch der Garten gegossen und einige Kleinigkeiten erledigt werden, bevor wieder Zeit zum Melken ist.


Abend. Gegen 17 Uhr startet das gleiche Prozedere, mit dem unser Tag am Bauernhof begonnen hat. Die Kühe werden gemolken und dürfen danach wieder hinaus auf die Weide. Etwa um sieben Uhr abends ist man im Stall fertig. Oft wird danach noch erledigt, was sich untertags nicht ausgegangen ist. An diesem Tag haben die Widlroithers jedoch Feierabend. Bis morgen um 4:15 ein neuer Tag am Hof beginnt.