Oh Oh Online…?

Was macht die FMCG-Branche im Netz richtig? Und wo gibt es noch Potential bzw. worauf sollte bei aller Euphorie nicht vergessen werden? Diese mit Absicht offen formulierte Frage haben wir einigen Experten gestellt.

Rainer Will, GF Handelsverband

Rainer Will, GF Handelsverband

Der E-Commerce ist die treibende Kraft hinter dem aktuellen Umsatzwachstum im Gesamthandel. Allein 2018 sind die Onlineshopping-Ausgaben in Österreich um +11,2% gestiegen, damit wächst der Onlinehandel acht Mal so schnell wie der stationäre Handel. Eine Stagnation ist nicht in Sicht, im Gegenteil, künftig könnte jeder dritte Euro im österreichischen Handel online erwirtschaftet werden. Wobei Onlineshopping eine Altersfrage ist: Je jünger die Konsumenten, desto häufiger shoppen sie im Netz – und zwar bevorzugt am Smartphone und auf den Marktplätzen von Amazon, Alibaba oder Wish. Natürlich sind die Verschiebung der Umsätze Richtung E-Commerce und der Kaufkraftabfluss ins Ausland eine Herausforderung für österreichische Händler. 


Im Lebensmittelhandel ist Onlineshopping hingegen noch eine Nischenangelegenheit. Aktuell werden österreichweit weniger als 2% aller Lebensmittel online bestellt. Die größte Herausforderung liegt in der Frische, denn der Transport ist extrem anspruchsvoll. Hinzu kommt die Crux, mit Webshops für Lebensmittel tatsächlich Gewinne zu erwirtschaften – das gelingt zurzeit fast niemandem.


Dessen ungeachtet sind die führenden österreichischen Lebensmittelhändler online gut aufgestellt. Sie haben frühzeitig investiert und damit eine hohe Eintrittsbarriere für Amazon & Co. geschaffen. Das ist ein wesentlicher Grund dafür, dass Amazon bis dato auf einen Start seines Lebensmittel-Lieferservices Amazon Fresh in Österreich verzichtet hat.

 

 

Dani Terbu und Nina Mohimi, The Coolinary Society

Nina Mohimi und Dani Terbu, The Coolinary Society

Browst man durch das heimische FMCG-Foodweb, erlebt man wenig Aufregendes. Die meisten Onlineauftritte bewegen sich zwischen Pflichterfüllung und dem nachträglichen Anpassen klassischer Werbung an die digitalen Kanäle. Ein Social Web, das in die Jahre gekommen ist, gepaart mit dem veränderten Smartphone-Nutzungsverhalten von Millenials & GenZ, erfordert nun aber dringendes Umdenken.


Wie man die Reichweite im Social Web erhöht? Mit unerwarteten Moves! Kaum jemand hat die Schlagzeilen verpasst, dass fast alle großen Fast Food-Ketten vegane Burger mit „Beyond Meat“ anbieten. Produktinnovationen haben also direkten Einfluss auf das Gesprächsvolumen im Web – im Moment gilt das besonders für pflanzliche Alternativen im eigenen Produktportfolio, ungewöhnliche Geschmackskombinationen oder auch überraschende Services wie gekühlte Abholstationen.


Neuere Kandidaten im digitalen Kommunikationsportfolio sind Messenger-Marketing a.k.a. Chatbots (z.B. lecker.de, WienBot), Voice-Anwendungen (Alexa Skills) oder auch Augmented Reality-Filter. Bei letzteren geht es nicht (nur) um lustige Face Filter, sondern um Anwendungen ähnlich der Google Lens. Spannend, oder?


Will man Millennials und GenZ erreichen, sollte man sich parallel zu den üblichen Trampelpfaden wie Instagram & Co. auch unbedingt Google bzw. Apple Maps näher anschauen. 82% aller Smartphone User verwenden Karten-Apps. Die besten Ergebnisse im nächsten Webprojekt erzielt man jedenfalls, wenn man die Grenzen zwischen online und offline aufhebt und daran denkt, dass mobile first kein Planungskonzept, sondern gelebte Realität ist.

Helmut Kosa, CEO des Marken- und Vertriebsberaters &US

Helmut Kosa, CEO des Marken- und Vertriebsberaters &US

Laut einer Nielsen-Studie aus dem Jahr 2018 wächst der weltweite Online-Verkauf von FMCG-Produkten viermal schneller als der Offline-Verkauf. In den kommenden Jahren wird auch für die europäischen Märkte ein Anstieg des E-Commerce bei schnelldrehenden Konsumgütern erwartet, nicht zuletzt aufgrund der sich wandelnden Work-Life-Dynamik, einer zunehmenden zeitlichen Überlastung und des wachsenden Bedarfs am Thema Convenience.


Wenn man sich den österreichischen Markt ansieht, steckt die FMCG-Branche noch in den Kinderschuhen. Die eigenen digitalen Kanäle werden schwerpunktmäßig allerhöchstens als bessere Produktinformationsangebote verwendet. Die Produkte werden meist nur über die Online-Plattformen der stationären Handelspartner vertrieben oder es wird ein ausgewähltes Sortiment über Plattformen wie Amazon angeboten.


Die Chance, die eigenen Businessmodelle zu optimieren beziehungsweise neue zu entwickeln und dadurch die Abhängigkeit vom Handel zu reduzieren, wird derzeit von nahezu keinem FMCG-Unternehmen genutzt. Hier gilt es, dementsprechende Businessmodelle und nachhaltige Strategien zu entwickeln, wie der digitale Vertriebskanal in die gesamte Vertriebsstrategie integriert werden kann. Nur so wird es wirtschaftlich sinnvolles Wachstum für FMCG-Unternehmen geben können. Und die „Angst“ vor den Handelsunternehmen darf diesen notwendigen Entwicklungsschritt nicht behindern.

Robert Zniva, Forscher und Lektor an der FH Salzburg und WU Wien

Robert Zniva, Forscher und Lektor an der FH Salzburg und WU Wien

Richtig aus Handelssicht ist, dass man sich dem Trend nicht verschließt. Die 24/7 Verfügbarkeit von Angeboten, die bequeme Lieferung nach Hause und auch die persönliche Kundeninteraktion, die das Netz möglich macht, können vorteilhaft für Unternehmen sein. Bei aller Euphorie stellt sich aber auch die Frage, ob all diese Vorteile zum Null-Kosten-Tarif für Konsumenten durchführbar sind oder ob es sich um Zusatz-Services handelt, die auch entsprechend eingepreist werden müssen. Denn der stationäre LEH ist ja nicht deswegen so dominant, weil es nie Versuche des Lebensmittelversands gegeben hat.


Er bietet, was die Versorgung mit Lebensmitteln betrifft, ein System, das in Österreich auf einer hohen Ladendichte basiert und daher auch eine hohe Verfügbarkeit von nachgefragten Waren und eine extreme Spontanität der Kunden während der Öffnungszeiten erlaubt.


Will der reine Online-Handel ähnliche Vorteile bieten, kann nicht von einem Zentrallager an einzelne Haushalte jegliche Warenkorbgröße zum günstigsten Preis geliefert werden. Im Gegenteil, der Online-Handel müsste eine ähnliche Dichte an kleinen Lägern aufbauen und auch eine sehr schnelle Logistik auf der letzten Meile in Zeiten großer Nachfrage bieten. Das kostet und ist problematisch in einem Markt, wo das Preisargument sicherlich eines der wichtigsten Entscheidungskriterien darstellt.