Gibt’s nicht, geht nicht

Sigrid Göttlich, Commercial Director Nielsen Österreich

Was im Regal steht, ist natürlich alles andere als eine willkürliche Auswahl von Artikeln – schließlich entscheidet die Sortimentsgestaltung darüber, ob die Kundschaft zufrieden ist und wieder kommt. Wir haben mit Sigrid Göttlich, Commercial Director Nielsen Österreich, über Unverzichtbares am PoS gesprochen.

PRODUKT: Unser Heft-Thema lautet: „Unverzichtbar – Die Must-haves fürs Geschäft“. Gibt es überhaupt Produkte oder Marken, die für den Erfolg eines LEH-Outlets entscheidend, also „unverzichtbar“ sind?
Göttlich: Lebensmittelgeschäfte müssen als Basissortiment die stark nachgefragten Eckartikel einer Warengruppe führen. Diese sind Marktführer in ihren Bereichen und bei den meisten Kunden „Top of Mind“ – sprich: An diese Marken oder Artikel denkt man bei einer bestimmten Warengruppe zuallererst. Fehlen diese, leidet auch die Frequenz darunter. Alles, was an Sortimentsgestaltung darüber hinaus geht, wird maßgeblich von Positionierung, Lage und Trends bestimmt.

PRODUKT: Manche Produkte sind eventuell keine Top-Seller, aber dennoch unverzichtbar. Was können – neben den Umsatzzahlen – weitere Gründe sein, die ein Produkt bzw. eine Marke zu einem Must-have machen?
Göttlich: Neben „Top of Mind“-Artikeln braucht es sozusagen auch die „Top of Heart“ Artikel – also jene, die den Kunden besonders am Herzen liegen. Nischenprodukte zu listen, die sich langsamer drehen, aber spezielle Zielgruppen ansprechen, kann sinnvoll sein, um sich als Händler in einer Warengruppe zu profilieren und sich von der Konkurrenz abzugrenzen. D.h. wenn ich als Geschäft beispielsweise für meine große Auswahl an Craft Bieren bekannt sein möchte, dann brauche ich auch ein entsprechend breites und tiefes Sortiment – auch wenn nicht alle Produkte zu den Top-Sellern zählen.

PRODUKT: Sie liefern Herstellern und Händlern akkurate Daten für ihr Geschäft – wie gut bilden sie tatsächlich „Unverzichtbares“ ab?
Göttlich: Gemeinsame Kennzahlen und Benchmarks sind wichtig in einem Markt, damit alle Marktteilnehmer dadurch sozusagen dieselbe Sprache sprechen. Man kann sich vergleichen und Ziele definieren, weil man sich auf dieselbe Grundgröße bezieht – nämlich das Nielsen-Universum. Nielsen-Daten zeichnen sich durch eine hohe Marktabdeckung sowie hohe Datenqualität aus und haben sich so zu einer anerkannten Währung am Markt entwickelt. Mit den Scanning-Daten des Lebensmittel- & Drogeriefachhandels in Österreich können wir unseren Kunden wertvolle Analysen liefern und Trends für „Unverzichtbares“ herausarbeiten.

PRODUKT: Was unverzichtbar ist, ist immer auch eine Momentaufnahme – was waren die wichtigsten Veränderungen in den letzten Jahren?
Göttlich: Ernährungstrends sind große Treiber am Markt. Wir sehen kurzfristige saisonale Trends, aber auch langfristige, die sich am Markt etablieren und dadurch unverzichtbar geworden sind. Einer der wichtigsten Trends des letzten Jahrzehnts, der sich mittlerweile allerdings mehr zu einer fixen Größe am Markt entwickelt hat, ist das Wachstum von Bio-Lebensmitteln. In Österreich haben wir – erst getrieben durch die Handelsmarken, mittlerweile steigen immer mehr Hersteller in den Bereich ein – einen Bio-Anteil von 9,5% (Bio-Anteil an Food inkl. Frische, LH inkl. Hofer/Lidl, Ganzjahr 2019, Wert) in Österreich erreicht. Einer der höchsten Anteile in Europa. Eine weitere langfristige Entwicklung ist der Aufschwung von Convenience-Produkten in allen möglichen Warengruppen. Und sehr aktuelle Trends, die in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen haben, sind die Zunahme von pflanzlichen Produkten als Ersatz von tierischen Produkten sowie zucker- und kohlenhydratarme Lebensmittel.

PRODUKT: Corona hat das Einkaufsverhalten kurzfristig sehr verändert – ist davon auszugehen, dass es hier auch langfristige Veränderungen geben wird?
Göttlich: Derzeit verzeichnen wir weiterhin deutlich erhöhte Lebensmittel-Umsätze, da noch immer viele Personen in Kurzarbeit oder Home-Office sind, was einen reduzierten Außer-Haus-Konsum mit sich bringt, den der Handel ausgleicht. Auch strukturelle Änderungen im Kaufverhalten halten sich noch: Beispielsweise leiden sogenannte Impulswarengruppen, also Produkte, die man nicht auf der Einkaufsliste hat, sondern spontan oder für unterwegs mitnimmt, immer noch unter den Entwicklungen. Einen Aufschwung gab es hingegen zum Beispiel bei Bier – der Konsum, aufgrund geschlossener Gastronomie, wanderte in den Einzelhandel. Langfristige Änderungen im Konsumverhalten sind schwer vorherzusagen, weil auch niemand den künftigen Verlauf der Pandemie vorhersagen kann. Durch die verursachte Wirtschaftskrise und die finanziellen Einschränkungen der KonsumentInnen ist aber mit einer erhöhten Preissensitivität zu rechnen.

PRODUKT: Der Eigenmarkenanteil im Handel ist über die Jahre stark angewachsen – wie unverzichtbar sind Ihrer Meinung nach Herstellermarken überhaupt noch für den Handel?
Göttlich: Herstellermarken sind und bleiben unverzichtbar am PoS. Sie sorgen für Vielfalt im Regal, kennen ihre Kunden besonders gut und können so früh auf Kundenwünsche reagieren. Außerdem ist die Innovationskraft von Herstellern unverzichtbar für Produktentwicklungen und das Setzen von Trends. Aber auch Eigenmarken haben einen fixen Platz am Markt: Mit dem Attribut der Exklusivität spielen sie eine wichtige Rolle für die strategische Positionierung der Händler und besetzen oft auch eine Lücke im Sortiment.

PRODUKT: Welches Produkt ist für Sie persönlich so unverzichtbar, dass sie sogar einen Umweg in Kauf nehmen würden, wenn es bei ihrem Supermarkt nicht erhältlich ist?
Göttlich: Top-Qualität bei Frische v.a. Obst, Gemüse und Brot sind für mich persönlich sehr wichtige Kriterien für die Auswahl der Einkaufsstätte. Unverzichtbares gibt es allerdings kaum, denn sollte ein bestimmter Artikel nicht erhältlich sein, finde ich mir fast immer eine Alternative.

PRODUKT: Vielen Dank für das Gespräch!