Neu verhandeln

Tristan Horx, Trendforscher am Zukunftsinstitut

Die Corona-Krise als Chance, jene Systeme, die bereits jetzt problematisch sind, so umzugestalten, dass sie zukunftsfähig sind? Wir haben uns mit Tristan Horx vom Zukunftsinstitut über fehlende Erntehelfer und Learnings für die Klimakrise unterhalten.

Wenn eines im Zuge dieser Krise ganz schnell als fragilstes Element  der heimischen Lebensmittelproduktion offensichtlich wurde, dann die Tatsache, dass wir in einem hohen Maß wesentliche Arbeiten in der Landwirtschaft und Produktion an nicht in Österreich ansässige Menschen abgegeben haben. Ob Erntehelfer, Fleischer, Verpacker oder LKW-Fahrer: Ohne Pendler aus den östlichen Nachbarstaaten funktioniert in der Lebensmittelindustrie – genauso wie in der Pflege - wenig. So kommen etwa 60% der Hilfsarbeiter bei der Gemüseernte aus Niedriglohnländern, ihre Abwesenheit kurz vor der Spargelernte oder auch der Feldsalat-Aussaat ist für die heimischen Landwirte existenzbedrohend. Was in weiterer Folge auch die Konsumenten merken werden, spätestens dann, wenn sich die Regale entsprechend ausdünnen. Was damit aber insbesondere augenscheinlich wird, ist, dass die Arbeit auf den Feldern und Schlachthöfen des Landes wohl für viele Österreicher nicht attraktiv genug ist. Um die Preise halten zu können, sind wir dementsprechend auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen, die uns die Krise jetzt allerdings nimmt. 

Was ist es wert?
Das lässt denkende Menschen natürlich staunen. Tristan Horx: „Generell fragt man sich angesichts dieser Situation: ‚Wer sind die Leute, die die Welt eigentlich am Leben erhalten? Und wie entlohnen wir diese Arbeiten?‘ Damit ergibt sich die Chance hier neu zu verhandeln und jene Bereiche, die essentiell wichtig sind, auch wieder entsprechend zu bezahlen bzw. zu wertschätzen.“

Leistbar?
Die Erhöhung der Löhne, die – und auch das muss man anmerken – im  Vergleich mit anderen europäischen Ländern, ohnehin schon hoch sind, würde freilich zu einem weiteren Preisanstieg heimischer Lebensmittel führen. Diese sind schon heute in etlichen Bereichen kaum konkurrenzfähig und kämpfen mit günstigerer Importware um die Gunst der Verbraucher. Kann es sich dennoch ausgehen? Wenn wir im Herbst 2020 im Supermarkt stehen und das Gemüse deutlich teurer ist, gerade in einer Zeit, in der die Wirtschaft gebeutelt von der Krise ächzt und krächzt? Horx: „Viele dieser Preise waren schon vor Corona eine einzige Blase, bei der absehbar war, dass sie mal platzt. Es ist im Großen und Ganzen eine Frage des Konsumverhaltens, dass sich ja aber auch in den letzten Jahren schon entsprechend zu ändern begonnen hat. Nicht der ständige Konsum, sondern ausgewähltes Einkaufen wird entscheidend dafür sein, dass sich das ausgeht. Mit jedem Einkauf erteilt man schließlich auch einen Produktionsauftrag.“

Sind wir so lernfähig? Groß angelegte Veränderungen wie diese gehen aber nicht von heute auf morgen über die Bühne und schon gar nicht in das Mindset der Konsumenten über. Eben noch war Geiz geil und plötzlich soll teuer saugeil sein? Wie lange wird es dauern, bis uns die Krise gelehrt hat, ohne mit der Wimper zu zucken und trotz Schulden auf der Bank zu teuren Lebensmitteln zu greifen? Horx: „Ich würde sagen, dass zwei Monate reichen sollten. Es gibt hier im Vergleich mit anderen Krisen einen wesentlichen Unterschied: Die letzten Krisen – etwa 9/11 oder die Wirtschaftskrise – waren für die allermeisten Menschen total abstrakt und hatten nichts mit ihnen persönlich zu tun. Diese Krise hier ist aber nicht abstrakt. Sie trifft alle und sie trifft alle gleichzeitig. Damit ist sie eine echte Tiefen-Krise, die das Mindset ändern wird. Das System wird auch nur graduell hochgefahren und die Folgen werden noch lange spürbar sein. Die Frage ist natürlich schon: Welches Menschenbild hat man im Kopf? Aber so viel Respekt vor den Menschen muss man schon haben, dass man ihnen zutraut, dass sie die Lektionen der Isolation in ihr Verhalten einfließen lassen werden. Wir sollten schon davon ausgehen, dass die Gesellschaft lern- und anpassungsfähig ist. Das haben auch andere große Krisen gezeigt.“

Das Training für die Klimakrise? Vermutlich ist aber davon auszugehen, dass schnell Lösungen für die fehlenden Erntehelfer und Fleischer gefunden werden, ohne dass die Preise dauerhaft steigen – entweder indem die Menschen wieder arbeiten kommen dürfen (und hoffentlich zumindest die Wertschätzung eine andere ist) oder indem dem breiten Aufruf nach inländischen Hilfskräften viele folgen. Krisen sind ein massiver Stresstest fürs System – und sie sind ein Training für kommende Katastrophen, denn sie zeigen auf, welche Strategien in harten Zeiten funktionieren und welche man sich nur in fetten Jahren leisten kann. Die fetten Jahre, so darf man behaupten, sind aber generell vorbei – die Klimakrise pocht schon seit Jahren an die Türen der Wirtschaft (insbes. der Landwirtschaft), Politik und Gesellschaft – einen Spalt breit haben wir diese Türe schon aufgemacht und akzeptiert, dass es Veränderungen geben wird müssen. Aber, wie bei einem Virus, glauben wir bei der Klimakrise, dass es nicht so schlimm werden wird, nur die Schwachstellen trifft und man verschont bleibt. Bei Corona werden wir aber in den nächsten Tagen sehen, dass es alle trifft, in der einen oder anderen Weise – gesundheitlich, finanziell oder psychisch. Und dadurch werden wir lt. Horx insbesondere drei wesentliche Dinge gelernt haben. Horx: „Jetzt laufen wieder alle zu den Qualitäts- und öffentlich-rechtlichen Medien. Die Zeit der Fake News ist vorbei und Qualitätsjournalismus erlebt eine Renaissance. Gleichzeitig haben Politiker gelernt Wissenschaftlern und deren Erkenntnissen und Prognosen zu vertrauen und als Basis von Entscheidungen heranzuziehen. Und als dritten wesentlichen Punkt, der für die Bewältigung von Krisen essentiell ist: Die Solidarität innerhalb der Gesellschaft ist gestiegen. Wir wissen jetzt, dass wir, um eine Krise zu überstehen, zusammenhalten und helfen müssen.“ Lehrt uns Corona also Entscheidungen, die auf Basis von Fakten getroffen und vernünftig von den Medien kommuniziert werden, gemeinsam umzusetzen? Auch wenn das unangenehm für jeden einzelnen werden kann? Das wäre wünschenswert und wohl notwendig.