Stillstand unerwünscht

Arnoud Walrecht, Direktor für Circular Economy Services bei KPMG Netherlands

Die EU-Vorgaben hinsichtlich Recycling und Kreislaufwirtschaft bedeuten eine Herausforderung für unsere Wegwerfgesellschaft. Ein Umdenken von linearer, einmaliger Nutzung von Verpackungen hin zur Kreislaufwirtschaft ist gefragt, so Arnoud Walrecht, Direktor Circular Economy Services von KPMG Netherlands.

RODUKT: Wie stehen Sie zu den umzusetzenden EU-Richtlinien und Quoten?
Walrecht: Ich denke, die EU-Ziele bedeuten einen grundlegenden Übergang von einer linearen zu einer Kreislaufwirtschaft, in der Wiederverwendung, Reparatur und Recycling zur neuen Normalität werden und Abfall der Vergangenheit angehören würde. Dies erfordert natürlich Innovationen im Produktdesign, Märkte für recycelte Materialien, neue Geschäftsmodelle, Ökodesign und industrielle Symbiose. Wenn wir wettbewerbsfähig sein wollen, müssen wir unsere Ressourcen optimal nutzen – und das bedeutet, diese wieder in den produktiven Einsatz zurückzuführen. Dies erfordert eine Politik, die besser miteinander verknüpft ist, eine intelligente Regulierung und eine aktive Unterstützung durch Forschung. Nach Angaben der EU-Kommission würde dieses System Investitionen freisetzen und Finanzmittel anziehen, während gleichzeitig eine starke Rolle für die Unternehmen und die Beteiligung der Verbraucher gefördert würde. Darüber hinaus könnten 580.000 Arbeitsplätze geschaffen und die jährlichen Treibhausgasemissionen um 62 Mio.t rund um das Jahr 2030 gesenkt werden. 

PRODUKT: Was bedeutet für Sie Kreislaufwirtschaft?
Walrecht: Es gibt eine Vielzahl von Interpretationen. Auf breite Akzeptanz stößt jene der Ellen MacArthur Foundation: „Kreislaufwirtschaft ist von Natur aus restaurativ und regenerativ und zielt darauf ab, dass Produkte, Komponenten und Materialien zu jeder Zeit ihren höchstmöglichen Nutzen und Wert beibehalten.“ Die Herausforderung: Das Streben nach dem „höchsten Nutzen und Wert zu jeder Zeit“ ist subjektiv. 

PRODUKT: Welche Interpretationen wären möglich?
Walrecht: Zum Beispiel kann das Wiederverwerten einer Flasche als Teppich – und eben nicht wieder als Flasche – als Umwandlung einer Verpackung in etwas von geringerem Wert angesehen werden. Denn es ist unwahrscheinlich, dass der Teppich erneut recycelt wird. Der Teppich bringt jedoch einen höheren Nutzen, da er für einen längeren Zeitraum verwendet wird. In der Praxis glaube ich, dass alle Optionen zur Wiederverwertung in Betracht gezogen werden sollten. Denn realisierbare sind von der geografischen Erreichbarkeit und Verfügbarkeit abhängig. Dazu muss man sich die lokale Kreislaufwirtschaft ansehen. Kommen zusätzliche Verpackungsmaterialien oder -formate ins Spiel, kann das den Recycling-Prozess weiter verkomplizieren. Aufgrund dieser Komplexität fühlt sich die Situation manchmal „festgefahren“ an. Ein Erfolg wird sein, den Übergang zu der geforderten, funktionierenden Kreislaufwirtschaft zu meistern. 

PRODUKT: Wie kommt man aus diesem Festgefahrensein wieder heraus?
Walrecht: Trotz des wachsenden Drucks, eine abfallfreie Wirtschaft zu schaffen, darf der Fokus nicht auf der Frage liegen, warum überhaupt verschiedene Arten von Verpackungen entstehen. Durch unsere Projekte haben wir erfahren, dass die Verpackungsindustrie beim Umgang mit Lebensmittelabfällen große Fortschritte erzielt hat. Sie wird hier auch weiterhin eine Schlüsselrolle spielen. All diesen Vorteilen von Verpackungsinnovationen wird entgegengehalten, dass sie möglicherweise nicht so häufig recycelt werden wie wir dies gerne hätten.

PRODUKT: Welche Veränderungen können noch auf uns zu kommen?
Walrecht: Chemisches Recycling könnte eine Schlüsselrolle bei der Bewältigung der derzeitigen Plastikmüllbarrieren spielen. Hier werden Kunststoffabfälle gereinigt und chemisch in neue, reine chemische Bausteine getrennt. Die wiederum können zur Herstellung neuer Kunststoffe verwendet werden. Bei der Verarbeitung komplexerer Kunststoffe ist das chemische Recycling die einzige Option.
Bei KPMG sehen wir auch, dass die Steuersysteme in den EU-Mitgliedstaaten noch nicht mit dem Ziel in Einklang stehen, zu einer Kreislaufwirtschaft überzugehen. Wir sind der Ansicht, dass eine Erhöhung der Steuern auf den Verbrauch natürlicher Ressourcen Anreize schaffen könnte, ressourceneffizientere Geschäftsmodelle entstehen zu lassen. Mehr als die Hälfte der Steuereinnahmen in der EU stammen derzeit aus Arbeitssteuern, während nur 6% aus Steuern auf natürliche Ressourcen stammen. Daher würde eine Verlagerung von der Besteuerung von Arbeit hin zur Besteuerung des Ressourcenverbrauchs die Arbeitskosten senken und die Entwicklung der Kreislaufwirtschaft vorantreiben, indem Reparatur, Wartung und Recycling von Waren kostengünstiger gestaltet werden.

PRODUKT: Danke für das Gespräch!