Wo Kühe noch Namen haben

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In unserer Österreich-Ausgabe darf ein Portrait der heimischen Milchwirtschaft natürlich nicht fehlen. Milch aus Österreich – das ist jedenfalls ein enormer Wirtschafts-Faktor. Und in vielerlei Hinsicht ein hochemotionales Thema obendrein.

Lebensmittel aus der Region einzukaufen macht Sinn und liegt generell im Trend – bei Milchprodukten scheint die Beziehung zu Erzeugnissen aus dem eigenen (Bundes-)Land oder sogar dem eigenen Wohngebiet allerdings noch viel stärker als in den meisten anderen Kategorien. „Die Konsument:innen greifen verstärkt zu den Marken ‚ihrer‘ Molkerei, welche in der Region produziert“, berichtet SalzburgMilch-GF Andreas Gasteiger und ergänzt auch gleich aus Sicht der Molkereien: „Die Unternehmen sind überwiegend im bäuerlichen Eigentum und deshalb sehr regional mit ihren Produkten verwurzelt.“ Für österreichische Produkte spricht aber keineswegs nur, dass man möglicherweise den Bäuer:innen ums Eck kennt oder schon mal bei ihm auf Urlaub war. Denn in der Tat hat die österreichische Milchwirtschaft eine ganze Latte an Besonderheiten zu bieten, die mit direkten Qualitätsvorteilen einhergehen. „Die österreichische Milchwirtschaft ist sehr kleinstrukturiert – ca. 24.000 Milchbäuerinnen und Milchbauern produzieren ca. 3,5 Mrd. kg Milch. Ein Durchschnittsbetrieb in Österreich hat ca. 22 Kühe“, bringt Kärntnermilch-GF und zugleich Präsident der Vereinigung Österreichischer Milchverarbeiter (VÖM) Helmut Petschar mit Zahlen auf den Punkt, dass es sich bei den hiesigen Milchbauernhöfen zum allergrößten Teil um kleine bis mittlere Familienbetriebe handelt. „Mit diesen Strukturen heben wir uns deutlich vom restlichen Europa ab“, schildert Berglandmilch-GF Josef Braunshofer. „Aufgrund der topografischen Gegebenheiten mit den Alpen sind kleinere Tierbestände eher die Norm als die Ausnahme“, bestätigt auch Andreas Geisler, GF der Käserebellen. Tatsächlich unterscheiden sich die Herdengrößen von jenen anderer Länder deutlich. Dazu Daniel Marte, Vorstand Rupp: „In Deutschland und Frankreich gibt es riesige Milchkuhbetriebe mit über 200 und bis zu 1.000 Tieren.“

Betreuung.

Dass man sich um eine überschaubare Anzahl an Tieren anders kümmern kann als um riesige Herden, liegt auf der Hand. Die heimischen Molkereien betonen deshalb unisono, dass den Kühen ihrer Milchlieferanten eine persönliche Betreuung zukommt und dass man üblicherweise hier jedes Tier beim Namen kennt und auch um die charakterlichen Eigenheiten Bescheid weiß. Sprich, wenn’s der Resi mal nicht gut geht, dann fällt das direkt auf. Generell kommt dem Faktor Tierwohl hierzulande eine große Bedeutung zu. Die Molkereien haben diesbzgl. in den vergangenen Jahren unterschiedliche Maßnahmen gesetzt, die auch in der Marken-Kommunikation immer häufiger eine tragende Rolle spielen. „Unsere Kühe genießen ihren wohlverdienten Wellnessurlaub“, meint etwa Christian Kröll, GF der Erlebnissennerei Zillertal, mit einem Augenzwinkern. „Sie verbringen die Sommermonate auf der Alm auf bis zu 2.300m und können sich am Buffet der Berge mit über 1.000 verschiedenen Kräutern und Gräsern täglich nach Lust und Laune bedienen. Natürlich darf das frische Bergquellwasser nicht fehlen und das tägliche Sport-Aktiv-Programm mit jeder Menge Bewegung.“ Diese humorige Beschreibung entspricht tatsächlich dem Alltag vieler österreichischer Milchkühe. Aber auch jenen, die nicht auf Sommerfrische auf der Alm sind, geht es in aller Regel gut. Und künftig noch besser: Eine Verschärfung der Vorschriften für das AMA Gütesiegel bringt das endgültige Aus dauernder Anbindehaltung mit sich. Diese ist derzeit noch in jenen Ausnahmefällen erlaubt, wo örtliche oder geografische Gegebenheiten einen Umbau in einen Laufstall oder einen Weidegang nicht möglich machen. „Die Anbindehaltung mit Weide, Auslauf oder sonstiger Bewegungsmöglichkeit an weniger als 90 Tagen pro Jahr ist im AMA-Gütesiegel-Programm Milch ab 1. Jänner 2024 nicht mehr zulässig“, heißt es in der entsprechenden Aussendung der AMA.

Effizient.

Naturnähe und Nachhaltigkeit spielen aber auch abseits der Haltung der Tiere in der heimischen Milchwirtschaft eine große Rolle. Auf unterschiedliche Weise versuchen die Molkereibetriebe, ihren ökologischen Fußabdruck zu verringern. Die Berglandmilch hat etwa für das Comeback der Milch (und mittlerweile auch Joghurt) im Mehrweggebinde gesorgt und auch abgesehen davon massiv in Nachhaltigkeitsprojekte investiert (siehe Story auf Seite 36). Bei Woerle hat man durch die Inbetriebnahme einer neuen Naturkäserei und die Zentralisierung des Lagers am Firmen­standort in Henndorf jährlich über 5.000 LKW-Fahrten eingespart. Die Erlebnissennerei Zillertal setzt auf Photovoltaik und Wärmerückgewinnung und auch bei der NÖM wird nach Energieeffizienz gestrebt, etwa durch eine Photovoltaikanlage auf der in Bau befindlichen Produktionshalle. Bei der SalzburgMilch verfügt man ebenfalls über eine Photovoltaik-Anlage und plant den Abbau der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern in den nächsten fünf Jahren. Durch technische Neuerungen konnte der Gasverbrauch bereits um 15% gesenkt werden. Im Hause Kärntnermilch wiederum hat man die chemische Reinigung modernisiert, wodurch es gelungen ist, sowohl Energie als auch Reinigungsmittel einzusparen. Schon jetzt hat die österreichische Milchwirtschaft gemäß einer Studie der EU-Kommission übrigens die geringste CO2-Belastung in der EU. Außerdem, um noch weitere Besonderheiten zu nennen: „Seit 2005, hier war und ist die österreichische Milchwirtschaft in ganz Europa Vorreiter, ist die gesamte Milchproduktion auf Gentechnikfreiheit umgestellt“, so Kärntnermilch-GF Helmut Petschar. Und was den Anteil an Milch in Bio-Qualität angeht, ist Österreich international führend. Und das ist gut so. NÖM-Vorstand Alfred Berger: „Mit der Größe unserer Verarbeitungsbetriebe haben wir im großen Business in Europa keine Chance. Aber wir haben uns immer spezielle Positionen erarbeitet.“ Denn tatsächlich lassen sich bestimmte Qualitätsstandards hierzulande leichter umsetzen als anderswo. Man denke etwa auch an das Heumilch-Regulativ, nach dem Mitglieder der ARGE Heumilch ihre Produkte herstellen. Eine Fütterung mit frischen Gräsern, Kräutern und Heu (ohne Silage, ohne außereuropäische Futtermittel – Auszug aus dem Heumilch-Regulativ) ist eben nur dort möglich, wo Kühe in entsprechender Umgebung gehalten werden können.

Einflussreich.

All dies, was österreichische Milchprodukte ausmacht, wird jedenfalls von den Konsument:innen außerordentlich geschätzt. 2021 gingen 642.907 t davon über die Ladentheken – nach einem satten 9,2%igen Zuwachs im Coronajahr 2020, wohlgemerkt. Wie die Daten des ersten Quartals des heurigen Jahres verheißen, dürfte auch beim Einkaufsverhalten wieder so etwas wie Normalität eingekehrt sein (RollAMA). Die Veränderung gegenüber der Vorjahresperiode entspricht -9% bei der Menge, -4,7% im Wert. Stets zu bedenken ist dabei, dass die Milchwirtschaft weit mehr beeinflusst als nur die Umsätze der Molkereien und des Handels. Kärntnermilch-GF Helmut Petschar: „Unsere Milchbäuerinnen und Milchbauern leisten tagtäglich viel mehr als nur Milch zu produzieren und abzuliefern. Ohne diese flächendeckende Milchproduktion in Österreich wäre es wahrscheinlich um die Kulturlandschaft in Österreich, um das Tourismusland Österreich anders bestellt.“ Sprich ohne Beweidung wären viele Landstriche gar nicht zugänglich. Rupp-Vorstand Daniel Marte erläutert: „Die Bäuer:innen beackern und pflegen die Felder, betreuen Alpen, liefern zahlreiche Nebenprodukte und ermöglichen erst durch ihre Arbeit den Erhalt der Kulturlandschaft, welche wiederum für Tourismus und Erholung genutzt werden kann.“ Gerrit ­Woerle, ­GF Woerle, betont: „Die österreichischen Landwirt:innen tragen maßgeblich zu einer intakten Natur und damit zu einer hohen Lebensqualität bei.“ Dass der Handel gut beraten ist, heimischen Milchprodukten entsprechenden Regalplatz einzuräumen, davon ist man auch bei den Käserebellen überzeugt. GF Andreas Geisler: „Für Konsument:innen ist es etwas Besonderes, wenn man beim Verzehr oder Einkauf von Milchprodukten an die Emotionen und die Herkunft dieser Produkte erinnert wird.“ Gerade dann, wenn dies mit gutem Gewissen passieren kann und ohne Bedenken hinsichtlich der Nachhaltigkeit, wie – so der einheitliche Tenor der Branche – dies bei heimischen Milchprodukten der Fall ist. Geisler: „Grundsätzlich ist der Alpengürtel für Milchwirtschaft ideal. Es gibt im Sommer genug Regen und der Weidegang und die Heuwirtschaft sorgt in der Regel für ausreichend Futter, sodass weder, wie es in anderen Regionen der Welt der Fall ist, Felder bewässert werden müssen oder Getreide an die Milchkühe verfüttert werden muss. Diese natürliche Vegetation der Alpenregion macht eine nachhaltige Bewirtschaftung vom Dauergrünland in Form von Wiesen, Weiden und Almen möglich.“

Dreher.

So mancher Hersteller von pflanzlichen Alternativen sieht dies freilich anders – immer wieder werden Argumente hinsichtlich des CO2-Abdrucks von tierischen Produkten hoch emotional in den Ring geworfen. Die wachsende Beliebtheit der Alternativen nimmt man in der Molkerei-Branche allerdings recht gelassen: „Die Milch ist ein sehr nahrhaftes Lebensmittel, das bereits seit Jahrtausenden zu diversen Produkten veredelt wird. Milch ist und bleibt daher ein essentieller Bestandteil unserer Ernährung“, ist Berglandmilch-GF Josef Braunshofer überzeugt. Und NÖM-Vorstand Alfred Berger meint: „Der Regalanteil pflanzlicher Alternativen steht noch in keiner Relation zum Umsatzanteil, aber dies wird sich einpendeln, denn der Handel lebt von Umsätzen und gut drehenden Artikeln, und da liefern wir Molkereien Gott sei Dank viele erfolgreiche Produkte.“

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