Ein Stück des Kuchens

Maurice Beurskens, CEO bei gurkerl.at

Die Pandemie hat das Thema Online-FMCG-Einkauf massiv vorangetrieben. Das gibt neuen Playern eine echte Chance am hoch konzentrierten österreichischen Markt zu reüssieren. Wir haben mit drei Online-Händlern, nämlich gurkerl.at, mjam market und Jokr gesprochen.

PRODUKT: Vor einem Jahr haben Sie in Österreich losgelegt – wie läuft es bisher?
Beurskens: Wir können alle auf ein erfolgreiches und gleichzeitig intensives Jahr zurückblicken. Gestartet haben wir mit einem rund 200-köpfigen Team und etwa 200 Bestellungen täglich. Heute umfasst das Team ca. 650 Mitarbeiter:innen und wir erhalten durchschnittlich 3.000 Bestellungen pro Tag. Unser Kundenstock ist innerhalb dieses Jahres auf ca. 40.000 Kund:innen angewachsen.

PRODUKT: Sie können also mit dem Start sehr zufrieden sein. Was glauben Sie, warum nehmen die Österreicher gurkerl.at so gut an?
Beurskens: Ich glaube, dass unsere Kund:innen sehen und spüren, mit welcher Leidenschaft unser Team arbeitet. Wir stehen zu 100% hinter dem, was wir tun und sind authentisch. Wir legen größten Wert darauf, mit unseren Kund:innen – aber auch Kritiker:innen, die (noch) kein:e Kund:innen sind – in engem Dialog zu sein. Wir möchten unbedingt wissen, was sie sich von uns wünschen und wo wir uns noch verbessern können. Unser Sortiment besteht aus mehr als 10.000 Produkten, von denen ca. 25% auf Kundenwünschen basieren. Dieser Umgang mit unseren Kund:innen und ihren Wünschen unterscheidet uns massiv vom stationären Handel.

PRODUKT: Was läuft besser oder auch anders als in anderen Märkten?
Beurskens: Um ehrlich zu sein, sind die bürokratischen Hürden in Österreich höher als in anderen Ländern. Positiv überrascht bin ich hingegen davon, wie stark das Interesse an Nachhaltigkeit und Bio-Produkten ist. Unser besonderes Service wurde sehr schnell – um offen zu sein, sogar schneller als ich erwartet habe – von unseren Kund:innen kennen und lieben gelernt. Damit einhergehend wächst gurkerl.at schneller als gedacht. Die Begeisterung ist wirklich spürbar.

PRODUKT: Der Eintritt eines erfolgreichen Online-Lieferanten verändert auch die Machtverhältnisse im doch sehr konzentrierten österreichischen Markt – wie sehen Sie das?
Beurskens: Ja, ich bin der Meinung, dass ein erfolgreicher Online-Supermarkt die Kraft hat, die  Stücke des Kuchens neu zu verteilen. Unser Ziel ist es, der umsatzstärkste Lebensmittel­-Onlineshop in Österreich zu werden. Bis Herbst nächsten Jahres wird unser Fulfillment-Center um 10 Mio. € erweitert und automatisiert. Darüber hinaus planen wir ein zweites Fulfillment Center im Norden Wiens. So werden wir Schritt für Schritt expandieren.

PRODUKT: Was machen Sie besser/anders als die Online-Shops der großen Händler in Österreich?
Beurskens: Neben der beschriebenen Sortimentsmitgestaltung durch unsere Kund:innen unterscheidet sich unser gesamtes Sortiment in der Zusammensetzung grundlegend von großen Händlern. Ich bezeichne das gerne als umgekehrte Pyramide. Während das Warenangebot der großen Mitbewerber überwiegend aus Basic-Produkten, einem kleineren Anteil an A-Brands und einem kleinen Teil an Top-Produkten besteht, ist dies bei gurkerl.at genau umgekehrt: Bei uns besteht die Sortiments-Pyramide aus 40 bis 50% Top-Produkten – das sind lokale und regionale Spezialitäten, aber auch exklusiv in Österreich online bei uns erhältliche Marken wie ‚Marks & Spencer‘, 30 bis 40%  A-Brands und 10 bis 20% Basic-Produkten. Die große Auswahl und Top-Qualität unserer Waren werden sehr geschätzt. Durch unseren direkten und engen Kontakt mit unseren Lieferant:innen steht unsere Zusammenarbeit mit ihnen für Individualität und eine Kooperation auf Augenhöhe. Ein leider vielfach in der Branche verbreitetes Preisdumping gibt es bei uns nicht.  Außerdem setzen wir auf Lieferungen innerhalb von drei Stunden ab Bestellung in einem Zeitfenster von einer Stunde.

PRODUKT: Womit können wir 2022 bei Ihnen rechnen?
Beurskens: Wir haben auch nächstes Jahr einige Überraschungen und Neuerungen geplant. Das größte Projekt, das uns natürlich schon jetzt beschäftigt, ist die Erweiterung und Automatisierung unseres bestehenden Fulfillment Centers sowie die Planung des nächsten im Norden Wiens. Zudem wird das Sortiment weiter auf zirka 12.000 Produkte wachsen. Auch hier rechnen wir mit etwa 25% der Artikel, die auf Kundenwünschen basieren.


Dominik Neuwirth, CEO bei mjam market

PRODUKT: Was zeichnet mjam market aus?
Neuwirth:
mjam ist mit über 4.000 Restaurant-Partnern eine der größten Essensbestellplattformen in Österreich. Zu Beginn des Jahres 2021 hat mjam begonnen, mit der bestehenden IT- und Lieferlogistik unter dem Namen „mjam market“ auch Lebensmittel innerhalb von 15 Minuten in Wien, Linz und Salzburg zuzustellen. Die Ziele sind hoch gesteckt: Bis 2022 wollen wir in den größten österreichischen Städten präsent sein und so über zwei Millionen Haushalte beliefern können.

PRODUKT: Wie funktioniert mjam market?
Neuwirth:
mjam hat im Bereich der Lebensmittellieferungen eigene Lager, sogenannte „dark stores“ oder „virtuelle Supermärkte“. Das sind Warenlager mitten in der Stadt, die es den Zusteller:innen  ermöglichen, die Lebensmittel innerhalb von 15 Minuten direkt bis vor die Haustür zuzustellen. Diese virtuellen Supermärkte sind von außen mit Branding versehen, es gibt aber keinen direkten Kundenkontakt. Die Bestellung erfolgt via App oder auf www.mjam.at und wird elektronisch dem nächstgelegenen Warenlager zugeordnet.

PRODUKT: Wie ist die erste Resonanz?
Neuwirth: mjam market wurde gut angenommen. Ein wichtiger Grund für den Einkauf ist die Lieferung in 15 Minuten, die uns von anderen E-Retailern unterscheidet. Besonders beliebt sind Frische-Artikel sowie Getränke, aber auch Artikel wie Schokolade oder pikante Snacks. Aufgrund der Kundenwünsche werden das Convenience-Segment sowie das vegane Segment in nächster Zeit weiter ausgebaut.

PRODUKT: Was erwarten Sie sich für die nächsten Monate/Jahre?
Neuwirth: mjam ermöglicht es Menschen, ein einfacheres Leben zu führen – durch die Zustellung von Essen und Lebensmitteln. Aktuell stellen wir Essen, Lebensmittel, Babyprodukte, Tiernahrung und Haushaltsprodukte zu. Die Angebotspalette bauen wir stetig weiter aus.


Lukas Grabenwöger, Co-Founder Jokr Austria & Central Europe

PRODUKT: Was ist Ihr USP? Was zeichnet Jokr aus?
Grabenwöger: Jokr versteht sich als neue Art des Einzelhandels, bei dem nicht mehr geplant werden muss, sondern Produkte des täglichen Bedarfs innerhalb von 15 Minuten geliefert werden. Gerade beim Online-Einkauf sieht man, dass bisherige Modelle die Bedürfnisse des Kunden oft nicht optimal befriedigen. Genau hier setzt Jokr an, indem den Kunden lange Wartezeiten und Stress erspart werden. Das ist auch nachhaltig, da man immer nur das einkaufen muss, was man gerade tatsächlich braucht und somit Abfall vermeidet.

PRODUKT: Wie funktioniert Jokr?
Grabenwöger: Der Kunde tätigt die Bestellung per App und maximal 15 Minuten später steht ein freundlicher Fahrradkurier vor der Tür und übergibt die Waren. Die Geschwindigkeit ergibt sich aus einem dezentralen Netzwerk an Micro-Fulfillment Centern im Wiener Stadtgebiet, aus denen wir direkt zustellen. Wir führen in etwa 2.000 verschiedene Produkte des täglichen Bedarfs in unserem Sortiment und setzen hierbei einen Schwerpunkt in Sachen Regionalität.

PRODUKT: Wie ist die erste Resonanz?
Grabenwöger: Wirklich sehr gut! Die Kunden nehmen unseren Service immer mehr an und wir wachsen stetig. Der österreichische Markt ist interessant, weil der stationäre LEH über eine der höchsten Filialdichten in Europa verfügt und man daher meinen möchte, dass der Bedarf an Lieferangeboten geringer sei. Unsere bisherigen Erfahrungen zeigen aber, dass dem definitiv nicht so ist.

PRODUKT: Was erwarten Sie sich für die nächsten Monate/Jahre?
Grabenwöger: Die Monate November und Dezember sind natürlich ganz wichtige Monate für uns. Anfang nächsten Jahres wollen wir dann die weitere Expansion nach Österreich angehen.