Geiz ist nicht geil

Hannes Royer

Hannes Royer, Obmann des Vereins Land schafft Leben

Skandale einerseits, schöne Bilder in der Werbung andererseits und Verbraucher, die gleichzeitig misstrauisch und in Sachen Lebensmittel äußerst sparsam agieren – das ist das Spannungsfeld, das Bergbauer Hannes Royer dazu animiert, etwas Licht in die Sache zu bringen. Wir haben mit dem Obmann des Vereins Land schafft Leben gesprochen.

PRODUKT: PRODUKT feiert in diesem Jahr sein 20-jähriges Bestehen – was meinen Sie: Was hat sich in diesem Zeitraum in der Lebensmittelbranche ganz klar verändert?
Hannes Royer: Ich bin Bergbauer in Schladming und habe 2014 gemeinsam mit Maria Fanninger und Mario Hütter den Verein Land schafft Leben gegründet. Beweggrund war der alles verändernde Slogan vom geilen Geiz. Der war ein echter Gamechanger und ist seither eine kaum aus der Welt zu schaffende Bürde für jede Qualitätsproduktion, wenn sie gleichzeitig ein breites Publikum ansprechen will.
Am Beispiel Fleisch sieht man recht gut, dass es Lebensmittel gibt, die im breiten Bewusstsein billig zu sein haben, weil sie sonst nicht gekauft werden. Während beim Handy und beim Motoröl beispielsweise der Preis scheinbar keine Rolle spielt, weil hier Geiz nicht geil ist. Unser aller Wertebewusstsein hat sich verändert.

PRODUKT: In Ihrem „Mission Statement“ sagen Sie: „Wir zeigen den Konsumenten transparent und ohne zu werten, wie in Österreich Lebensmittel produziert werden. Wir beschönigen nicht, wir skandalisieren nicht, wir zeigen die Realität.“ Warum ist das heute überhaupt nötig?
Hannes Royer: Viele Konsumenten sind hin- und hergerissen zwischen den gleichermaßen „falschen“ Werbebildern und publizierten Skandalbildern, welche unzulässig pauschalieren. Oft fehlt das realistische Bild und somit das Wissen darüber, was wir Tag für Tag zu uns nehmen.

PRODUKT: Die Verbraucher sind also in Sachen Lebensmittel so verunsichert wie noch nie – ist das Ihrer Meinung nach berechtigt? Oder sind wir mittlerweile übersensibel?
Hannes Royer: Wir von Land schafft Leben schauen uns an, wie in Österreich Lebensmittel produziert werden. Ich kann somit nur über die heimische Lebensmittelproduktion sprechen – denn nur darüber haben wir eine wirklich fundierte Ein- und Übersicht. Hier ist meine Antwort ein klares Nein. Der Skandal, der Betrug, das Leid etc. ist in Österreichs Lebensmittelproduktion nicht Standard, sondern im schlimmen Einzelfall Ausnahme. Alle Beteiligten sind sich einig und arbeiten intensiv daran, diese Einzelfälle noch besser zu vermeiden. Ja, wir Konsumenten sind sensibel und das Ziel von Land schafft Leben ist es, dass verlorenes Vertrauen wieder zurückgewonnen werden kann. Allerdings müssen natürlich auch berechtigte Kritikpunkte vonseiten der Konsumenten, die es gibt, von der Produktion ernst genommen und angegangen werden. Auch hier arbeiten wir an einer konstruktiven Vermittlung zwischen den beiden Seiten mit.

PRODUKT: Gibt es Bereiche wo Sie – auch in Ihrer Position als Landwirt – ganz klar sagen: Da läuft in der Wertschöpfungskette etwas falsch?
Hannes Royer: Mir persönlich fehlt eine klare Vision für die Zukunft der bäuerlichen Landwirtschaft, abgesehen von einzelnen vielversprechenden segmentalen Ansätzen. Anders ausgedrückt, was mir abgeht, ist ein gemeinsamer Marktauftritt der heimischen Landwirtschaft. Wofür steht sie ein und wofür steht sie gerade? Was ist ihr USP? Wo sind wir unverwechselbar und damit auch nicht durch irgendetwas vom Weltmarkt austauschbar? Und über die gesamte Wertschöpfungskette gedacht liegt der bereits erwähnte Fluch des „Geiz ist geil“. Diesen Geist, der vor ca. zwei Jahrzehnten vom LEH aus der Not heraus gerufen wurde, werden wir nur ganz schwer wieder los. Hier eine geistige Trendwende zu fördern, darin sehe ich die eigentliche Aufgabe von Land schafft Leben.

PRODUKT: Welche Themen sind Ihrer Meinung nach aktuell die größten Herausforderungen für die österreichischen Landwirte bzw. Lebensmittelerzeuger/Verarbeiter?
Hannes Royer: Ganz klar die großen Felder „Tierwohl“ und „Pflanzenschutz“. Das zeigen einstimmig alle Konsumentenbefragungen. Innerhalb der Bauernschaft halte ich die Hofnachfolge für die brennendste aller Fragen, an der alle anderen dranhängen. Bauer will nur werden, wer seinen Platz in einer Gesellschaft findet und wer für seine Arbeit respektiert und geschätzt wird. Ansonsten tue ich mir diese Knochenarbeit nicht mehr an. Das ist ein riesiges Problem! Mittelfristig übrigens für die ganze Lebensmittelbranche und auch für den Tourismus. Denn der Bauer und sein liebes Vieh ist seit Jahrhunderten nicht nur Lebensmittelproduzent, sondern Gestalter der Kulturlandschaft, die als Spielwiese dem Tourismus Milliarden einspielt.

PRODUKT: Und andersrum: Gibt es Themen, die aktuell zu Unrecht medial gehypt/skandalisiert werden?
Hannes Royer: Klingt jetzt komisch, aber es sind dieselben großen Bereiche „Tierwohl“ und „Pflanzenschutz“, wo ich mir eine neutralere und objektivere Berichterstattung oft wünschen würde. Hier wird medial viel heiße Luft geblasen und werden wissenschaftliche Expertisen um des medialen Hypes willen häufig „übersehen“.

PRODUKT: In vielen Gesprächen, die wir führen, hören wir, dass dies oder jenes den Verbrauchern einfach zu schwierig zu erklären sei. Was kann man tun?
Hannes Royer: Das ist natürlich nicht einfach, stimmt schon. Aber wir sind überzeugt, dass man es trotzdem versuchen muss. Man kann den Konsumenten ruhig zutrauen, dass sie sich auch mit kritischen Themen auseinandersetzen. Wir von Land schafft Leben machen genau das und zeigen beispielsweise in unseren Videos auch die Schlachtung von Schweinen oder die Enthornung von Kälbern. Dass es die Lebensmittelindustrie selbst nicht macht, versteh ich aber. Denn erstens gehört das nicht zum Kerngeschäft. Und zweitens haben die das Problem, dass ihnen von vornherein Parteilichkeit unterstellt wird, wenn sie ihr Tun erklären. Da haben wir es schon leichter. Deshalb freuen uns wir sehr, dass so viele Betriebe aus der Branche bei uns als Förderer dabei sind und uns Tür und Tor öffnen.

PRODUKT: Und ganz handfest: Wie bringen Sie ihre umfassende Recherche und das erarbeitete Wissen an die Verbraucher?
Hannes Royer: Ich bin in ganz Österreich unterwegs, halte Vorträge und führe Interviews mit Journalisten. Außerdem stellen wir all unsere Informationen, Bilder und Videos realitätsgetreu und konsumentenfreundlich aufbereitet auf unserer Webseite www.landschafftleben.at zur Verfügung. Natürlich sind wir auch auf sämtlichen Social Media Kanälen.

PRODUKT: Gibt es darüber hinaus etwas, das Ihnen noch am Herzen liegt?
Hannes Royer: Ich betone sehr gerne immer wieder, dass wir Konsumenten es in der Hand haben. Mit jedem Griff ins Supermarktregal, mit jeder Bestellung im Restaurant, entscheiden wir darüber, wie die Lebensmittel, die wir zu uns nehmen, produziert werden.

PRODUKT: Vielen Dank für das Gespräch!