Mit oder ohne Tier?

Felix Hnat ist Obmann des Vereins Vegane Gesellschaft Österreich und Johanna Prodinger, Geschäftsführerin Nachhaltige Tierhaltung Österreich (NTÖ)

Das Thema „Vegan“ erhitzt die Gemüter ähnlich schnell wie einst die Diskussion um die Corona-Impfung. Auch deshalb haben wir unser Heftthema mit „Vegan – wieso (nicht)?“ recht offen formuliert und eröffnen diese Ausgabe mit einem Doppel-Interview: Felix Hnat, Obmann des Vereins Vegane Gesellschaft Österreich, beantwortet dabei dieselben Fragen wie Johanna Prodinger, GF Nachhaltige Tierhaltung Österreich.

PRODUKT: Unser Heftthema lautet „Vegan wieso (nicht)? – was spricht aus Ihrer Sicht für einen höheren Anteil an pflanzenbasierten Lebensmitteln – und was spricht für tierische Lebensmittel?

Hnat:
Pflanzliche Lebensmittel liegen voll im Trend, und Österreich ist sogar Europameister. In Österreich leben 400.000 Menschen vegan, zusätzlich verzichten 800.000 auf Fleisch, und der Fleischkonsum sinkt dank der knapp 4 Millionen Flexitarier:innen jedes Jahr. Der Grund dafür ist, dass die Alternativen am Markt geschmacklich immer besser werden. Dabei spielt auch der Klimawandel eine große Rolle. Beim CO2-Abdruck eines Lebensmittels ist der Transportweg, also die Regionalität, nur für 3–7% verantwortlich. Über die Hälfte der Treibhausgase lässt sich durch pflanzliche Zutaten reduzieren.

Prodinger:
Wir leben in einem Land, in dem es möglich ist, die unterschiedlichsten Ernährungsgewohnheiten zu entwickeln. Pflanzliche, eiweißreiche Lebensmittel wie Hülsenfrüchte sind gesund, reich an Ballaststoffen, Vitaminen, Mineralien und Antioxidantien. Tierische Produkte überzeugen als Eiweißlieferanten, denn die biologische Wertigkeit von tierischem Eiweiß ist unübertroffen. Fleisch gilt als vollständige Proteinquelle, d.h. alle essentiellen Aminosäuren sind in ausreichender Menge enthalten. Eine vollständig vegane Ernährung kann auf Dauer nur durch Supplementierung aufrechterhalten werden. Hier ist jedoch zu beachten, dass ein Mangel erst nach Jahren auftritt. Tierische Produkte haben in vielen Kulturen eine lange Tradition und sind tief in der kulturellen Identität verankert. Insgesamt sollte immer die Ausgewogenheit und Qualität der Ernährung im Vordergrund stehen. Auf vegane Ersatzprodukte wie Analogkäse sollte hingegen verzichtet werden, da diese oft einen enormen Ressourcenaufwand haben und von minderer Qualität mit vielen Zusatzstoffen sind. Sie sehen also, sowohl pflanzliche als auch tierische Produkte haben ihren Platz in einer ausgewogenen Ernährung. Dabei sollte bei der Auswahl der Fleischprodukte auf die Herkunft geachtet werden. Dies gilt insbesondere für die Gastronomie sowie für verarbeitete Produkte wie Wurstwaren.

PRODUKT: Tierische Produkte, Frau Prodinger, bzw. vegane Ersatzprodukte, Herr Hnat, stehen häufig in der Kritik – wie sieht Ihrer Meinung nach das optimale tierische bzw. vegane Produkt aus? Worauf sollte man achten?

Hnat: Generell ist die Qualität von pflanzlichen Produkten ausgezeichnet. Die Fleischlobby und die Milchwirtschaft trompeten zwar das Gegenteil heraus, aber erst letzte Woche hat ein Test des VKI gezeigt, dass die allermeisten Produkte „gut“ abschneiden. Und dabei enthalten sie nicht einmal Cholesterin oder so viele gesättigte Fette wie Fleisch. Viele heimische Firmen wie die Sojarei, Österreichs größter Tofuhersteller, machen vor, wie es sein sollte: traditionelle Produkte, keine Zusatzstoffe und Sojabohnen aus Österreich in Bioqualität. Da können die Kraftfuttermischungen für die Viehzucht mit ihren diversen Zusätzen und Vitaminen einpacken!

Prodinger: Die Aspekte Herkunft Österreich und Tierhaltung spielen dabei eine wichtige Rolle. Produkte aus Österreich unterstützen die heimische Landwirtschaft und reduzieren den CO2-Fußabdruck durch kurze Transportwege. Die Almwirtschaft in Österreich bewirtschaftet 20% der Staatsfläche und fördert geschlossene Ökosysteme sowie eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft. Grasland und Wiederkäuer sind zentral für die Umwandlung nicht essbarer Biomasse in menschliche Nahrung. Die kombinierte Bewirtschaftung von Schweinen und Ackerbau unterstützt ebenfalls einen effizienten Nährstoffkreislauf auf den Feldern. Zusammenfassend sollte das optimale tierische Produkt in Österreich produziert werden und eine transparente Lieferkette aufweisen. Der bewusste Konsum von qualitativ hochwertigen tierischen Produkten kann dazu beitragen, Tierwohl, Nachhaltigkeit und die eigene Gesundheit zu fördern.

PRODUKT: Spricht man das Thema vegan/tierisch an, wird es sofort emotional – warum?

Hnat: Ich denke, es ist beobachtbar, dass der Trend in Österreich weg vom Fleisch geht. Anstatt wie im Bereich Soja die Chance zu nutzen – inzwischen ist Soja in Österreich die viertwichtigste Feldfrucht – haben die Rinder-, Schweine- und Geflügelverbände beschlossen, die pflanzlichen Produkte zu verteufeln und zu bekämpfen. Das ist schade und meiner Meinung nach nicht zukunftsfähig.

Prodinger: Das Thema vegan versus tierisch ist stark emotional aufgeladen, da es grundlegende Werte und Überzeugungen berührt und uns alle täglich betrifft. Jeder hat eine Meinung dazu und viele Meinungen bedeuten auch viel Diskussions- und Konfliktpotenzial. Auch auf Seiten der Landwirtschaft ist das Thema stark emotional besetzt, geht es doch um den eigenen Familienbetrieb und die persönliche Lebensgrundlage, die über Generationen und oftmals Jahrhunderte auf den Betrieben aufgebaut wurde. In den Betrieben wird täglich viel Arbeit investiert. Das Verständnis seitens der Konsument:innen ist über die Zeit verloren gegangen und muss wieder Schritt für Schritt aufgebaut werden, damit der Wert tierischer Produkte auch angesehen wird. Die Diskussion um vegane Ernährung versus tierische Produkte zeigt, wie eng Ernährung mit Ethik, Kultur und Identität verbunden ist.

PRODUKT: Lassen Sie uns noch kurz über Preis & Wert sprechen – ist Fleisch zu billig und vegan zu teuer?

Hnat:
Lebensmittel sollen ihren Wert haben und die harte Arbeit in der Landwirtschaft muss fair entlohnt werden. Als ich während der Pandemie erfolglos versucht habe, Tomaten anzubauen, habe ich gemerkt, was da geleistet wird. Hut ab vor allen Landwirt:innen in Österreich!

Was mir sauer aufstößt, ist, dass Soja- und Haferdrinks, auch wenn sie regional und biologisch sind, mit 20% MwSt. besteuert werden und Kuhmilch nur mit 10%. Das gehört angeglichen. Das ist nicht fair!

Prodinger: Gerade tierische Produkte werden oftmals in Aktionen zu Schleuderpreisen verkauft. Bäuerinnen und Bauern arbeiten 365 Tage im Jahr für die Produktion von tierischen Lebensmitteln. Ja, genau dieses Bewusstsein braucht es bei den Konsumentinnen und Konsumenten: Tierische Lebensmittel haben einen Wert!

PRODUKT: Was würden Sie sich vom Handel wünschen, um das Thema nachhaltige Ernährung (in beiden Bereichen) gut voranzubringen?

Hnat: Im Bereich pflanzliche Produkte ist der Handel der Politik um Jahrzehnte voraus, das muss man offen und ehrlich sagen. Was tierische Produkte betrifft, da wird mir auch die Gegenseite zustimmen, würde ich mir wünschen, dass der Preis von Fleisch durch Lockangebote nicht so stark gedrückt wird.

Prodinger: Vor allem braucht es mehr Zusammenarbeit zwischen Handel und der tierischen Landwirtschaft in der Konsument:­inneninformation. Hintergründe und Abläufe der österreichischen Familienbetriebe sollen mit realen Bildern und Einblicken aufgezeigt werden. Denn die tägliche Verfügbarkeit von Lebensmitteln im Supermarkt wird oft als selbstverständlich angesehen. Das vielfältige Angebot verdanken wir zu einem großen Teil den heimischen Bäuerinnen und Bauern, die einen wesentlichen Beitrag zur Versorgung der Bevölkerung leisten. Sie sind ein unverzichtbarer Teil der Wertschöpfungskette und verstehen die Bedeutung von Lebensmitteln und den Wert ihrer täglichen Arbeit jenseits von Inhaltsstoffen, Geschmack oder Preis.

PRODUKT: Vielen lieben Dank für Ihre offenen Antworten!